Erlebnisbericht einer Pflegekraft – Blossin ist eine Reise wert

23. April 2019
Erlebnisbericht einer Pflegekraft – Blossin ist eine Reise wert

In Brandenburg, in Heidesee, Ortsteil Blossin, am Wolziger See befindet sich ein Jugendcamp. Das Jugendbildungszentrum Blossin e.V. hat hier seinen Sitz. Auf der Anlage befinden sich Sportanlagen, Bootsanlegestellen, ein Hafen, Kletterwände, Hochseilklettern, und vieles mehr. Es werden Tagungen, Veranstaltungen, Feriencamps angeboten. Man kann hier den Segelschein machen oder den Bootsführerschein, man kann sich in den verschiedensten Sportarten ausprobieren und es wird auch als Trainingslager für verschiedene Sportarten genutzt. Kurzum hier ist gewaltig was los. Im Mittelpunkt stehen Gruppenarbeit und Teamgeist. Es ist wie ein Ferienlager für Erwachsene.

Zu Beginn des Jahres fragten wir beim Geschäftsführer Herrn Lehmann an, ob die Möglichkeit besteht, mit einem an ALS erkrankten Menschen, der auf verschiedene Hilfsmittel angewiesen ist, in ihrem Objekt eine Woche Urlaub machen zu können. Herr Lehmann war erst mal etwas verwundert. Was will ein Mensch der sich selber nicht mehr bewegen kann an einem Ort wo sportliche Betätigung das Hauptanliegen ist, wo Sport, Spiel, Spaß, Bewegung, Wettkämpfe und  Wettstreit den Tagesablauf bestimmen, wo es nur so wuselt und viele verschiedene  Altersgruppen  ständig in Aktion sind? Meine Antwort darauf war:

“ Auch wenn er sich selbst nicht mehr bewegen  kann möchte er doch am Leben teilhaben und mittendrin sein. Er war immer sehr sportlich, ist Halb-Marathon gelaufen, war Matrose der Binnenschifffahrt, hat gesegelt und selbst ein Segelboot besessen. Seine Familie verbrachte viele Jahre auf einem Segelboot. Er liebt das Wasser, den Wind und alles was mit Schiffen und Booten zu  tun hat. Er hat Freude daran, am Wasser zu sein und dem Treiben zuzusehen, den Wind zu spüren und auch den Regen zu fühlen. Er will sich nicht verstecken, er möchte, als das was er ist und wie er ist, wahrgenommen werden.“

Gut, sagte Herr Lehmann, ihre Anfrage ist für mich erst mal ungewöhnlich aber er wird es mit seinem Team besprechen und uns Bescheid geben. Wenn Herr Lehmann auch nicht von vornherein davon überzeugt war, sein Team war es! Sie wollen die Herausforderung annehmen, sich dieser Aufgabe stellen. Und nicht nur das. Herr Lehmann wollte sich bemühen über Sponsorengelder den Aufenthalt für Tobias und die zwei Pflegekräfte zu finanzieren. Ein Ortstermin mit unserem Geschäftsführer Herrn Filip, einer Pflegekraft und dem Team aus Blossin wurde vereinbart. Wir sahen uns die Räumlichkeiten an, Testeten das Bett für den Transfer vom Rollstuhl zum Bett und umgekehrt. Ein Stuhl und der Hausmeister als Versuchsobjekt brachte schon mal den ersten Lacher aber es funktionierte und somit war eine wichtige Hürde genommen, es geht auch ohne Pflegebett für diesen Zeitraum. Wir sprachen mit dem Küchenchef  über die Möglichkeit der Zubereitung der Speisen für Tobias, kein Problem- einen Passierstab hat jede Küche, alles was wir brauchen würde man uns zur Verfügung stellen können.  Die Mahlzeiten kann Tobias mit uns gemeinsam in der Mensa zu sich nehmen, einen Tisch wo der Rollstuhl dran passt und wir nicht den Weg versperren war schnell gefunden. Also hatten wir erst mal im Vorfeld alle wichtigen Punkte abgesprochen und geklärt- Fazit: null Problem. Der Zeitraum wurde festgelegt. Wir würden mit Tobias eine ganze Woche nach Blossin fahren, vom 03.08. bis 09.082015. Na wenn das nichts ist.

Tobias freute sich riesig

Wir hatten das große Glück, dass wir sehr hilfsbereite Freunde fanden, die uns die Sorge um den Transport mit einem Fahrzeug abnahmen. Für sie war es eine Selbstverständlichkeit und aus diesem Grund möchten sie nicht namentlich erwähnt werden. Wir akzeptieren dies und möchten ausdrücklich nochmals für die Hilfe und Unterstützung  DANKE sagen.

03.08.2015

11.30 Uhr das Auto ist da und wird beladen. Maschinen, Maschinen und nochmal Maschinen, Kisten mit Material, Dinge für den persönlichen Bedarf, Lagerungskissen, Decken und, und,  und, und. Ganz wichtig natürlich: Tobias in seinem Pflegerollstuhl. Der Duschstuhl passt nicht mehr rein aber dafür haben wir ja auch noch ein eigenes Auto, also alles was noch Platz braucht schluckt ein kleiner Fiat, wir haben alles verstaut und angebunden. Wohnungstür abschließen und ab geht es in den Urlaub nach Blossin. Wir sind alle ganz schön aufgeregt oder bin das nur ich?

13.00 Uhr Ankunft in Blossin

Wir wurden auf das herzlichste empfangen und begrüßt. Zimmerschlüssel wurden übergeben. Tobias wohnt im Seminarhotel, hat ein Doppelzimmer für sich, behindertengerecht. Claudia und ich haben zusammen ein Doppelzimmer auf dem „weißen Berg“. Der erste Gang ging in die Mensa und in die Küche, inzwischen ist Mittag essen angesagt und somit begann der Aufenthalt mit futtern. Nach dem Essen wurden wir vom Team über die Veranstaltungen informiert die in dieser Woche auf dem Programm standen. Wir dürfen überall zusehen, sollten selber entscheiden, was für Tobias von Interesse ist. Wann immer wir etwas brauchen, einfach in der Rezeption Bescheid sagen. Das hört sich schon mal gut an. Wir hatten nun erst mal das Zimmer von Tobias einzurichten. Das Auto, nein die Autos, wurde entladen und alles kam an seinen Platz. Maschinen, Maschinen, Maschinen alles wurde angeschlossen und verkabelt.  Betriebsbereit stand alles an seinem Fleck.

Gemeinsam sahen wir uns das Gelände an. Wir gingen zum Hafen, zum Strand, zur Bootsanlegestelle, zur Kletterwand und sahen uns die Hütten und Zeltlager der Jugendlichen an. Tischtennis, Volleyball-,Fußballfeld. Hochseilklettern und vieles mehr. Die Zeit verging wie im Flug.

Wir mussten uns natürlich auch dem Rhythmus der Eirichtung anpassen, wir wollten keine Extra Wurst, also mussten wir uns auch an die Essenszeiten halten. 18.30 ging es zum Abendbrot in die Mensa. Tobias hatte seinen Sprachcomputer am Rollstuhl, er wurde zum Buffet geschoben  und wählte seine  Abendmahlzeit aus. Alles wurde schön angerichtet und ich verschwand damit in der Küche. Mixer und Becher standen bereit und alles wurde sondengerecht zubereitet, fertig. Guten Appetit Tobias! In der Mensa waren wir nicht alleine, viele junge Leute waren da und wir spürten wie uns die Blicke folgten, aber man empfand uns nicht als störend, hatten wir den Eindruck. Den Abend verbrachten wir an der Hafenbar, Tobias hatte seinen Sprachcomputer mit und unterhielt sich mit uns  und er bestellte ein Bier. Wieder wurden wir von den anderen beobachtet aber noch traute sich keiner uns direkt anzusprechen, die Blicke wurden freundlicher und neugieriger. Der erste Abend neigte sich dem Ende, der Akku vom Computer ging auf null und nun ging es auf sein Zimmer. Der Computer ging an das Netz und Tobias erledigte seinen E-Mail Verkehr um dann auch irgendwann zu schlafen. Der Wetterbericht versprach schönstes Sommerwetter und da heißt es früh aufstehen, um keinen Sonnenstrahl zu verpassen.

04.08.2015

06.30. Uhr Aufstehen  – Raus aus dem Bett – Waschen, Zähne putzen, Rasieren, Ankleiden und ab geht’s zum Frühstück in die Mensa. Der Chef-Koch empfängt uns und empfiehlt uns seine Speisen. Er ist sehr interessiert und stellt Fragen. Wir geben Hilfestellung bei der Kommunikation und bald schon werden auch die Mimik und Gestik von Tobias erkannt und verstanden, wir sind außen vor und die Gespräche finden ohne uns statt. Es ist toll zuzusehen wie Berührungsängste abgebaut werden und wirkliche Nähe entsteht. Tobias wählt Latte machiatto, Brötchen Butter und Ei. Auch wir lassen uns das Frühstück schmecken und genießen den Service. Nach dem Frühstück geht der Nachtdienst schlafen und wir gehen zum Fußballplatz um den Jungs aus Calau beim Training zuzusehen. Die armen Kerle müssen bei ca. 30 Grad in der Sonne ackern, mit dem Ball Slalom laufen und dann noch rückwärts. Wir hatten Spaß dran aber die sahen das bestimmt anders. Nebenan,  im Wald, lief eine Gruppe mit verbundenen Augen und tastete sich an einem Seil entlang, sie mussten Absperrungen ertasten und überwinden, sich gegenseitig helfen. Es erinnerte mich an ein Kinderspiel „Blinde Kuh“. Später fanden wir heraus, dass es Lehrlinge waren, die bei der Sparkasse eine Ausbildung beginnen und sich hier bei durchaus sinnvollen Seminaren kennenlernen.  Eine andere Gruppe war damit beschäftigt ein Floss zu bauen, welches auch zu Wasser gelassen werden sollte. Tobias kennt sich damit aus, hat er doch in Schweden selber schon ein Floss gebaut. Die Jungs hatten echt Probleme, beim ersten anheben fiel das Floss fast auseinander.

Tobias hätte sicher gern erst Mal eine Unterweisung in die Technik der Seemannsknoten gegeben. Wir haben gelacht. Irgendwie haben sie die Stämme zusammengefügt, alles sah auch aus wie ein Floss und es schwamm auch auf dem Wasser. Kurze Zeit später sahen wir den jungen Leuten zu die im Drachenboot saßen, sie verließen den Hafen und fuhren hinaus auf den See.

Und schon wieder ist es Zeit sich auf den Weg zur Mensa zu begeben, es ist Mittagessen. Das Küchenpersonal hat scheinbar einiges vom Küchenchef über seine Begegnung mit Tobias erfahren und traut sich nun auch an Tobias ran. Sie begegnen ihm sehr freundlich, mit sehr viel Hochachtung und voller Neugier. Es ist eben doch etwas ganz anderes wenn man die Möglichkeit hat einen Menschen mit dieser Erkrankung kennenzulernen.  Sie stellen fast ungläubig fest- er versteht alles, er kann hören, sehen, fühlen, empfinden und denken wie wir, mit ihm kann man sich unterhalten auch ohne Computer, er spricht mit seinen Augen und das kann man sehen. Er will leben und hat Freude am Leben wie wir, er leidet nicht. Mensch der freut sich ja richtig. Ich freue mich auch über das Interesse, was ihm entgegengebracht wird. Nach dem Mittagessen geht es wieder runter zum Hafen. Wir haben einen schönen Platz, direkt an der Einfahrt zum Hafenbecken, wo die Boote anlegen die da mal Pause, machen oder mal einige Tage bleiben. Ich wusste gar nicht, dass es so viele verschiedene Boote gibt.  Es ist heiß, die Sonne scheint, blauer Himmel und kaum eine Wolke, ganz sachte weht der Wind. Ich gehe auch mal ins Wasser um kurz abzukühlen. Tobias bekommt Wasser über die Beine geschöpft, uns geht es gut.

Am Strand spielen die Kinder, eine Kindergartengruppe tollt im Wasser. Ich drehe den Rollstuhl laufend im Kreis weil es immer irgendwo etwas anderes zu entdecken gibt. Ein wunderschönes altes Holz-Boot läuft im Hafen ein, es schiebt sich mit seinem dicken Bauch in die Hafeneinfahrt  und ich drehe Tobias in dessen Blickrichtung. Wir sehen auch noch anderen Booten zu, die hinaus fahren. Plötzlich wird Tobias unruhig. Irgendwas ist los aber was? Absaugen? Ja! Immer noch ist irgendetwas nicht in Ordnung,  sagt mir seine Mimik.  Sitzhaltung verändern? Nein! Kopf drehen? Nein! Beine hoch machen? Nein! Hustenassistenten? Ja!  Gut dann müssen wir auf dein Zimmer gehen. Alles zusammenpacken und los. Im Zimmer angekommen deutet Tobias sofort mit seinen Augen auf den Computer, immer wieder. Ich denke du willst den Hustenassistenten, willst du erst was sagen? Ja! Computer ist an und Tobias schreibt:“ Mach hin, nimm den Computer mit, ich muss zum Hafen, Mobi Dick hat angelegt.“

Was war das denn jetzt? Mobi Dick hieß das Schiff seiner Schwiegereltern, die Familie hatte es 40 Jahre. Tobias war da mit seiner Freundin, seiner Frau und mit den Kindern, hat unzählige Stunden drauf verbracht, hat dadurch die Liebe zum Segeln entwickelt. Mit diesem Schiff verbindet ihn sehr viel. Mobi Dick kenne ich aus vielen Erzählungen von Tobias. Vor einigen Jahren wurde es verkauft und Tobias hat mit dem neuen Besitzer noch zwei Jahre an dem Boot gebaut. Sollte wirklich dieses Schiff hier anlegen? Ab geht’s, mit Computer und ohne Anwendung des Hustenassistenten, zum Hafen. Der Hustenassistent war nur das Mittel zum Zweck, damit wir auf sein Zimmer gehen und er an den Computer kommt. Wir nähern uns dem Boot und ein Mann schaut zu uns, sieht und erkennt Tobias im Rollstuhl. Als sie sich das letzte Mal sahen, war Tobias noch gesund und er hat ihm beim Umbau des Schiffes geholfen. Tobias war der Handwerker der, der sich damit auskannte. Was für ein Wiedersehen? Was für ein Zufall? So was gibt’s doch gar nicht. Was muss die ganze Zeit in ihm vorgegangen sein? Das schöne Holz-Boot, zu dem ich ihn gedreht hatte, war Mobi Dick. Tobias hat es erkannt, vom ersten Augenblick an und er hat alle Register gezogen um zu „seinem“ Schiff zu kommen. Uns überkam das berühmte „Gänsehautgefühl“. So etwas ist nicht planbar, solche Geschichten schreibt einfach nur das Leben.  Mit Bernhard, dem Bootsbesitzer, verabredeten wir uns am Abend in der Hafenbar. Tobias nahm seinen Sprachcomputer mit und konnte quatschen, fast wie früher.

Die Hafenbar war wie eine große Terrasse gestaltet, mit Strandkörben, Liegestühlen, Tischen und Stühlen, einer Fernsehecke für die Fußballfreunde und als Überdachung,  eine große Plane in der Form eines Segeltuches. Jeder der wollte saß am Abend noch zusammen. Das Wetter war wie dafür gemacht. Viele nutzten die Gelegenheit und saßen zusammen. Natürlich, weckte auch hier in dieser Umgebung, Tobias das Interesse seiner  Mitmenschen. Seine Kommentare waren lautstark zu hören und der Bildschirm leuchtete bis sonst wohin. So mancher wurde beim Klang der Computerstimme hellhörig und versuchte herauszufinden wie das geht. Vielleicht traut man einem Menschen wie Tobias auf den ersten Blick gar nichts zu. Er kann sich nicht bewegen also kann er sonst auch nichts  mehr. Alleine das Hören „seiner“ Stimme lässt ihn in den Augen der anderen, zu einem normaleren Menschen werden mit dem man sich unterhalten kann, der nicht doof ist. Ist doch verrückt wie wir Menschen gestrickt sind. Es geschah einige Male, dass wir als Pflegekräfte angesprochen  und zu Tobias befragt wurden. Wir stellten dann den Kontakt her und ermutigten die Leute, selbst mit ihm zu sprechen. Kann er mich verstehen? Ja! Kann er Hören? Ja! ER ist wie Du und Ich, er kann sich nur nicht bewegen! Und wie macht er das mit dem Computer? Fragen sie ihn! Tobias hatte Textbausteine vorbereitet und konnte so relativ schnell Antworten geben. Es ging dann immer sehr schnell, es ergab sich eine Unterhaltung und Tobias hatte reichlich zu tun- wir hielten uns zurück und halfen nur wenn es gewünscht wurde. Ein langer schöner Abend ging zu Ende, als der Akku vom Computer leer war. Es war auch schon dunkel und das Licht des Computers lockt alle Insekten an. Na, dann Gute Nacht bis Morgen.

05.08.2015

Am  Morgen war Tobias noch Mal am Hafen verabredet, Mobi Dick sollte auslaufen und Tobias wollte sich verabschieden. Nach unseren morgendlichen Ritualen ging es wieder beim schönsten Sonnenschein zum Hafen. Wasser und Schiffe, ist das nicht herrlich? Tobias  traf sich mit den Bootsführern von Mobi Dick und wünschte immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel. Mit einer Träne im Knopfloch verabschiedeten wir uns. Bewegende Momente, auch für uns.

Am Nachmittag war für interessierte Mitarbeiter eine Informationsrunde geplant. Tobias wollte über sein Leben mit ALS berichten und Fragen beantworten. Der Vortrag  war für die Zuhörer wohl sehr interessant, vor allem die Möglichkeiten der Technik faszinierten. Mit seiner natürlichen Art eroberte er alle Herzen und es wurde viel gelacht. Ich weiß nicht mit welchen Erwartungen die Mitarbeiter gekommen sind, sie erlebten einen glücklichen, lebensfrohen und optimistischen Menschen. Sein Satz „ ich sehe zwar doof aus, aber ich bin nicht blöd“ klärte gleich mal die Fronten und man sah ihn  am Ende der Veranstaltung, mit anderen Augen. Erst verhalten und zurückhaltend dann aufgeschlossen und aufeinander zugehend. Es war sehr schön zu beobachten wie positiv die Menschen reagieren, wenn sie mehr wissen. Es gab keinen  Ausdruck von Mitleid, dafür aber Bewunderung und Achtung vor der Leistung, das Leben so anzunehmen wie es nun mal ist. Ich bin mir sicher, dass Tobias nachhaltige Eindrücke hinterlassen hat. Die Veranstaltung fand auf dem weißen Berg statt, unmittelbar neben der Unterkunft, die uns Pflegekräften zur Verfügung stand. Claudia hatte schon ausgeschlafen und so konnten wir Tobias auch unser Zimmer zeigen. Den Abend verbrachten wir gemeinsam in der Hafenbar, mit Blick auf den See. Ein herrlicher Sommerabend, bei ca. 25 Grad im Schatten und Windstille.

06.08.2015

Laut Wettervorhersage 34 Grad, Sonne satt, Wolkenlos. Was macht man an so einem Tag? Herr Lehmann vom Jugendbildungszentrum  hatte Für Tobias eine Überraschung organisiert. Der Bootsverleih von Herrn Jacob in Gussow besitzt ein Schiff welches Rollstuhlgerecht ist, und eben dieses Schiff wurde uns zur Nutzung bereitgestellt. Herr Schmidt, ein Hafenmeister aus Blossin wurde als Kapitän und Bootsführer angeheuert. Just an diesem Tag erwartete Tobias Besuch aus Berlin. Schwiegereltern und eine Freundin der Familie hatten sich angemeldet. Was liegt also nah, natürlich brachen alle gemeinsam zur Schifffahrt, auf dem langen See auf.

Viele Erinnerungen wurden wach. Weißt du noch, da drüben haben wir mal angelegt und dort waren wir auch gewesen. Viel gab es zu erzählen und zu sehen. Herr Pohl gab uns eine Unterweisung in die Bedeutung der Wasser-Verkehrszeichen. Hier waren sie schon mit Mobi Dick unterwegs und nun sitzen wir alle in der „Fortuna“, einem Katamaran. Es ist schön!!!! Wir sind froh, dass das Schiff ein Dach hat. Die Sonne strahlt mit uns um die Wette und der Fahrtwind kühlt angenehm. 2 Stunden dauert die Fahrt, unser Kapitän bringt uns sicher wieder in den Hafen.

Am Nachmittag erwarten wir noch mehr Besuch. Frau Oddoy, auch eine ALS Patientin, ihr Sohn und ihr Bruder verbringen mit uns den Nachmittag in Blossin. So soll es sein, Freunde treffen sich spontan und organisieren schnell eine gemeinsame Kaffeetafel. Der Kuchen wird beim Bäcker geholt und Kaffee gibt’s in der Hafenbar. Klasse, jetzt sitzen wir schon am Nachmittag in der Bar, es scheint unsere“ Stammkneipe“ zu werden. Und weil wohl alles so harmonisch ist und sich jeder mit jedem versteht und obwohl kein Alkohol im Spiel ist, sind wir alle plötzlich beim „DU“. Es ist wie ein Selbstläufer und es ist schön! Tobias, Karl-Heinz, Gisela, Monika, Ute, Hendrik, Konstantin, Kerstin, Claudia und Herr Schmidt unser Kapitän- wir alle sitzen zusammen und freuen uns über diesen schönen Tag und das wunderbare Zusammensein. Am späten Nachmittag verabschieden wir unsere Gäste und lassen den Abend wie gewohnt ausklingen.

07.08.2015

Heute wollen wir es etwas ruhig angehen lassen. Die Sonne lacht, es ist wirklicher Sommer. Wir verbringen den ganzen Tag am Strand und im Hafen. Es gibt ja ständig was zu sehen. Die Kinder machen Tau ziehen im Wasser, es finden Mannschaftsspiele statt. Das Drachenboot mit 20+1 Mann fährt raus. Schiffe legen an und legen ab. Ein Schwanenpaar mit drei jungen Schwänen kommen uns besuchen. Tobias bekommt einen übergroßen Eimer hingestellt um wenigstens die Füße abzukühlen. Wir schöpfen ihm das Wasser aus dem See, der Sonnenschirm spendet etwas Schatten und die Sonnencrem kommt freiwillig zum Einsatz. Claudia und ich teilen sich ein Surfbrett,  welches wir ausleihen können. Wir wollen Tobias bespaßen und machen uns freiwillig zum Obst. Stand Up Paddling

– der Sportler steht aufrecht auf dem Surfbrett und paddelt mit einem Stechpaddel. Wir haben erst Mal gekniet und dann auch perfekt gestanden, also haben wir uns auch nicht zum Obst gemacht, aber das weiß man ja vorher nicht. Einer war bei Tobias und der andere paddelte, es war lustig und wir waren um eine Erfahrung reicher. Tobias hat sich amüsiert. Das Wetter verwöhnt uns, es ist heiß und man möchte sich nicht viel bewegen, es sei den man ist im Wasser. Der Gang zur Mensa, zum Abendbrot fällt uns schon schwer. In der Mensa ist es aber angenehm kühl und natürlich schattig. Tobias hat seinen Computer am Rollstuhl und wählt seine Mahlzeit aus. Die Kinder, die schon am Tisch sitzen schauen neugierig auf den Bildschirm und vergessen dabei ihr Essen. Ich gehe zu ihrem Tisch und frage sie ob sie etwas wissen wollen. Ja, sie wollten Einiges wissen und sprachen gleich alle durcheinander. Wenn ihr wollt können wir uns in einer halben Stunde im Nebenraum treffen und Tobias wird Euch alles erklären. Eine halbe Stunde später saßen ca. 8 Kinder und ihre Betreuerin mit Tobias zusammen und konnten alle Fragen stellen die sie hatten. Tobias erklärte geduldig, die Kinder waren begeistert. Einen Computer mit den Augen steuern, das war für sie der Knaller. Sprechen ohne Worte- Gesichtsausdrücke erkennen- z.B. Augenbrauen heben bedeutet „ja“, was sagen mir strahlende Augen? Ein Mädchen brachte es auf den Punkt, sie sagte zu ihrer Freundin:“ Schau mal wie er lächelt, ich glaub der ist nett“.   Zum Abschluss wünschte man sich noch ein gemeinsames Foto

und Tobias fand das gut. Am Abend in der Hafenbar folgte dann die Fortsetzung. Die Kinder die Tobias schon kennengelernt hatte erzählten es den anderen, die nicht dabei waren und die wollten nun auch. Eh wir uns versahen waren wir umringt von einer Kinderschar und das in der Hafenbar. Die Kinder die schon einiges wussten wollten es nun auch zeigen und schnatterten drauf los. Kinder fragten und Kinder antworteten, Herrlich! Vom Computer war plötzlich zu hören: “Müsst ihr nicht ins Bett? „ Alle lachten und fanden die Frage echt witzig. Eine angeregte Unterhaltung zwischen Tobias und den Kindern kam in Gange. Besonders schön war, am folgenden Tag zu sehen, wie die Kinder Tobias begegneten.  Sie riefen  IHM ein freundliches Hallo zu und winkten zum Gruß und sie sahen ihn dabei an. Die Begegnung mit den Kindern war eine tolle Erfahrung.

08.08.2015

Der letzte Tag vor der Abreise ist gekommen, wir wollen ihn einfach nur genießen. Bei schönstem Wetter, wollen wir nach dem Frühstück gleich wieder an den Strand, runter zum Hafen. Unser Stammplatz am Hafen, unter einem Baum, ist noch frei und wir markieren mit Eimer und Sonnenschirm unser Revier. Tobias bekommt seine Abkühlung und ich tauche kurz im See ab, habe Tobias immer im Blick. Das Wasser ist am Anfang ganz flach und wird nur langsam etwas tiefer. Ein Gedanke geht mir nicht aus dem Kopf. Wie könnten wir  Tobias wenigstens ins Wasser setzen. Ich schaue mich um und taxiere die Männer, könnten  die vielleicht Tobias ins Wasser tragen? Nein, das ist mir zu gefährlich. Ich weiß aber, dass die Männer von der DLRG (Deutsche Lebensretter Gesellschaft) hier Dienst haben und ein Boot von denen liegt  im Hafen. Die Idee ist da und ich frage Tobias ob er in das Wasser möchte? Seine Augenbrauen zucken in die Höhe, seine Augen werden groß und strahlen fast fordernd. Ja ich will! Ich frage ihn noch einmal und erkläre ihm wie ich es mir vorstelle und wie wir es machen könnten. Seine Antwort ist eindeutig, er will. Claudia ist zum Strand gekommen und ich frage sie ob sie die Sache mit machen würde. Claudia ist mit dabei, ob sie noch nicht ganz munter ist? Sie sagt Ja zu der Aktion. Ich suche nun die Jungs von der DLRG, ich finde sie und frage ob sie uns helfen würden Tobias seinen Wunsch zu erfüllen. Als ich ihnen sagte, dass Tobias maschinell beatmet wird kamen sie dann doch ins grübeln.  Also passt auf: Tobias wiegt 60kg. Wir haben ein Liftertuch,  mit-4 Mann und 4 Ecken müsst ihr ihn tragen. Meine Kollegin kümmert sich um die Beatmung, trägt die Beatmungsmaschine samt Schlauchsystem und ich setze mich in das Wasser, ihr setzt ihn mir in den Schoß und ich werde ihn halten und seine Rückenlehne sein, seinen Kopf werde ich mit der Schulter stützen. Ich bin aufgeregt wie verrückt,  Sie schauen sich an und sagen: „Wenn wir ihm damit einen Traum erfüllen können, packen wir es an. Aber um die Beatmung müsst ihr euch kümmern“. Alles klar? Wir ziehen Tobias so nah wie möglich im Rollstuhl an den Strand. Tobias wird erneut gefragt ob er immer noch will – ja, er will! Jeder einzelne wird in seine Aufgabe eingewiesen. Tobias hat keine Muskelkraft, seine Muskeln sind jetzt wir. Das Liftertuch wird ordentlich angelegt und schon geht es mit ihm in die Höhe. Ich sitze im Wasser und gleich sitzt er vor mir und ich halte ihn mit meinem Oberkörper als Rückenlehne  glücklich in meinen Armen, sein Kopf liegt auf meiner Schulter, Claudia trägt die Beatmungsmaschine, hält das Schlauchsystem und überwacht die Beatmung. Alles läuft wie geschmiert.

Die Hose von Tobias bläht sich auf, wir schaukeln leicht. Ach ja, vorhin war das Wasser ganz still und jetzt kommen Wellen. Vorbeifahrende Boote hatte ich nicht auf meinem Schirm, die machen natürlich Wellen. Jedes Kind freut  sich über Wellen, ich nicht! Wir sitzen bis zur Brust im Wasser und je tiefer wir kommen desto weniger kann ich Tobias halten, denn auch er schwimmt und außerdem darf kein Wasser in die Luftröhre kommen. Einen Moment halten wir noch die Stellung und dann ist es aber auch genug. Die Jungs heben Tobias aus dem Wasser und lassen ihn ein wenig abtropfen, sie tragen ihn an den Strand und setzen ihn wieder sicher in seinen Rollstuhl. Tobias wird zum trocknen in die Sonne gestellt. Er strahlt.

Der Kommentar der Jungs von der  DLRG :„Na, dann haben wir heute wenigstens eine gut Tat vollbracht“ Wir sagen DANKE und ich sage :“Wir sind ganz schön verrückt“ ! Gerade als Tobias aus dem Wasser getragen wird kommt Conni, eine Freundin der Familie. Sie freut sich mit uns. Gemeinsam sitzen wir beieinander.  Conni hat Kuchen mitgebracht. Wir bereiten den Kuchen für Tobias und holen Kaffee -ein schöner Abschluss nach dieser Anspannung. Während des Kaffees wird noch viel erzählt, das Badewetter wird auch von uns ausgenutzt und Tobias muss trocknen. Alles ist schön. Nachdem Conni die Heimfahrt nach Berlin angetreten hat, gehen wir mit Tobias ins Zimmer. Er bekommt eine Stunde Bettruhe verordnet wogegen er sich lautstark sträubt. Hier haben wir aber kein Erbarmen, das Stuhlkissen kommt zum trocknen in die Sonne und Tobias bekommt frische Wäsche. Unseren letzten Abend, zieht es uns wieder zu den anderen in die Hafenbar. Wir sitzen gemütlich zusammen und dann tritt eine Frau an uns heran und meint, dass sie uns zwei Tage lang beobachtet hat. Zuerst habe sie gedacht, so möchte sie nicht leben aber heute hat sie dazu eine andere Einstellung. Sie hätte nie geglaubt, dass ein Mensch, im Zustand von Tobias, so viel Freude erfahren und empfinden kann. Sie war beeindruckt vom so liebevollen Umgang und wollte erst recht nicht glauben, dass wir Pflegekräfte sind. Sie war der festen Überzeugung  wir seien Familienangehörige.  Zu Tobias gewandt sprach sie voller Achtung und Ehrfurcht über den Lebensmut, den er ausstrahlt. Sie bedankte sich schon fast, für die Lektion, die er ihr unbewusst erteilt hat. Mithilfe des Sprachcomputer führten beide noch eine angeregte Unterhaltung.

Die Woche in Blossin war einfach perfekt. Meine Eindrücke habe ich niedergeschrieben um anschaulich zu machen was zu diesem Erfolg geführt hat. Am Anfang gab es ein beschnuppern und dann waren die Berührungsängste weg und Tobias wurde als Mensch wahrgenommen. Er fühlte sich sauwohl mittendrin, unter so vielen Menschen. Er erfuhr Achtung und Anerkennung, konnte sich mitteilen, hatte selbst viel zu sagen und hatte unzählige Eindrücke. Nicht einmal, hatte er das Gefühl zu stören oder im Wege zu stehen. Das gesamte Team vom Jugendbildungszentrun war stets bemüht uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. WIR als Pflegeteam und Tobias im Besonderen sagen DANKE.

Ein ganz großes  Danke gilt den Sponsoren, die uns den kostenfreien Aufenthalt möglich machten.

Danke sagen Tobias,  Kerstin und Claudia

August 2015