Anja Clement. Vorstand im ALS-mobil e.V. und reisefreudige ALS-Betroffene

Wie die ALS selbst ist auch das Reisen mit dieser Krankheit sehr vielschichtig und verschieden. Ich bin nun seit 15 Jahren betroffen und habe alle Stufen der Erkrankung außer der invasiven Beatmung durchlebt. ALS ist kein Grund, auf Reisen zu verzichten. Jedoch sollte man sich vorher Gedanken über Reiseziel, Inhalt der Reise, seine körperlichen Einschränkungen und über die Mitreisenden machen.

 

Eigentlich wurde mit zunehmenden körperlichen Einschränkungen das Reisen fast angenehmer. Ich erinnere mich ungern an den Stadtbummel in Freiburg im Breisgau im ersten Jahr meiner Erkrankung. Ich schleppte mich durch die Stadt, deprimiert von meiner Schwäche. Die Familie war genervt, da es nicht voranging und ich natürlich traurig und schlecht gelaunt war. Wesentlich besser ging es mir schon mit dem vom Sanitätshaus geliehenen Rollstuhl. Mit dem Rollstuhl mit e-Antrieb lief es nochmals um einiges besser. Ich konnte nun endlich wieder ohne Kraftaufwand entscheiden, wo ich hinschauen, hinfahren möchte.

 

Natürlich treten mit zunehmender Erkrankung andere Probleme auf. In welcher Form kann ich meine Nahrung aufnehmen, welche Hilfsmittel brauche ich usw. Oft war ich etwas traurig, dass ich keinen Urlaub wie früher machen konnte. Kein Wandern, kein Schwimmen, kein Radfahren, kein Skifahren. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten. Man kann sich mit den Augen, Ohren und Nase die Welt erobern, genießen, sich von der Sonne bescheinen lassen.

Anja
Reiselustige und -erfahrende ALS-Betroffene

Packliste Urlaubsreise

Wir haben eine Liste mit allem notwendigen Equipment erarbeitet. Diese wird vor jeder Reise spezifiziert. Das erleichtert das Packen erheblich. Besonders wichtig bei beatmeten Betroffenen.

Reisebegleitung

Sehr entscheidend sind die Reisebegleiter.

  • Fährt man mit seiner Familie, sollte man vorher besprechen, wie es mit der Pflege wird. Optimal ist es, wenn eine Assistenz zur Verfügung steht. Aber auch ein Pflegedienst vor Ort kann Entlastung bringen.
  • Wenn man zusätzlich eine Freundin oder ein Freund mitnimmt, kann die Familie auch mal Dinge tun kann, die mit Rollstuhl nicht möglich sind.
  • Eine schöne Alternative ist das Verreisen mit anderen ALS-Betroffenen. Die Interessen und Einschränkungen sind ähnlich. Man fühlt sich nicht mehr so behindert und als Bremsklotz.

Verkehrsmittel

  • Die entspanntesten Urlaube sind für die mit dem [eigenen] Auto. Kleintransporter sind ideal, bieten genug Platz für alle Hilfsmittel und Begleitpersonen. Man kann ohne logistischen Aufwand viel unternehmen.
  • Kompliziert ist es mit dem Zug. Die Reise muss vorher angemeldet werden. Problematisch sind Verspätungen. Gepäcktransport etc. Für einen Tagesausflug ohne mehrmaliges Umsteigen ist wiederum die Bahn empfehlenswert.
    Barrierefreies Reisen mit der Deutschen Bahn.
  • Auch das Flugzeug kann eine Option sein. Selbst mit invasiver Beatmung ist es möglich. Bei der Buchung die Notwendigkeiten angeben –  und nun ist die Fluggesellschaft in der Verantwortung. Man kann mit manuellen aber auch elektrischen Rollstühlen fliegen. Betroffene aus dem Verein haben schon positive Erfahrungen gemacht. Soweit möglich alle beweglichen Teile des Rollstuhls verzurren. Fußrasten, Sitzkissen selbst mit ins Flugzeug nehmen.
    Bei der Platzwahl ist es leider schwierig, Plätze mit mehr Beinfreiheit zu buchen. Meist sind diese Bereiche gleichzeitig Fluchtwege und da hat ein Rollifahrer nichts zu suchen. Ungünstig ist ein Fensterplatz, weil der vom Gang schwer zu erreichen ist; sehr beschwerlich beim Transfer vom schmalen Transportrolli im Flugzeug auf den Sitz. Bei diesem Transfer sollte man dem Flughafenpersonal genaueste Anweisungen geben. Sie sind zum Teil sehr ungeschickt. In Berlin-Schönefeld und -Tegel war es zum Beispiel problematisch, in Barcelona und Schottland wiederum war das Personal gut geschult und auch kräftig genug.

Unterkunft: Ausstattung

Spannend ist immer wieder die Suche nach einem optimalen Quartier. Selbst bei detaillierter Befragung wird der Begriff „rollstuhlgeeignet“ sehr unterschiedlich interpretiert. Sind mehrere barrierefreien Zimmer vorhanden, sind diese mitunter verschieden. Wichtig ist wirklich ein ganz genaues Abfragen der Ausstattung und der Maße beim jeweiligen Anbieter.

  • Badezimmer
    Hier kommt es meist zu den größten Einschränkungen im Vergleich mit Zuhause. Gerade für Betroffene, die noch selbstständig agieren. Ist die Dusche rutschhemmend, sind die Haltegriffe für einen persönlich an der richtigen Stelle, die Toilettenhöhe richtig? Hilfsmitteln und Assistenten sind hier fast unerlässlich. Ein Duschrollstuhl, der im Notfall auch als Toilettenstuhl genutzt werden kann, ist eine große Erleichterung. Oder klappbare Duschrollstühle. Anja empfiehlt den Dusch- und Toilettenrollstuhl von Invacare oder mit mehr Verstellmöglichkeiten – was sich auch im Preis wiederspiegelt –  das allround toiletten system von artosy.
    Ausgestattet mit Waschschüssel und Duschrollstuhl ist man für alle bösen Überraschungen gerüstet. Besitzt man als Hilfsmittel einen Stehlifter von molift, kommt man in das kleinste Bad.
    Die Dusche sollte bodengleich sein. Am besten ohne feste Abtrennung. So kann die Duschfläche gleich als Bewegungsfläche für den Rollstuhl dienen.
    Haltegriffe sind immer an der falschen Stelle. Sehr nützlich sind mobile Haltegriffe zum Beispiel der Firma Roth.
  • Türen
    Auf jeden Fall sollte man erfragen, wie breit die Badezimmertür ist. Die meisten Rollstuhlfahrer kommen mit einer Breite von 80 cm zurecht. Die Badezimmertür sollte aus Platzgründen nach außen aufschlagen oder eine Schiebetür sein.
  • Bett
    Wichtig ist die seitliche Fläche neben dem Bett. Die Breite sollte nicht kleiner als 90 cm sein. Vorteilhaft sind verschiebbare Betten.
    Wird ein Patientenlifter benötigt, sollte das Bett unterfahrbar sein.
    Bei längeren Aufenthalten kann man eine Matratzenauflage mitnehmen, denn die Matratzen sind mitunter zu hart.
    Natürlich kann man sich gerade bei Ferienwohnungen ein Pflegebett bei einem nahegelegenen Sanitätshaus ausleihen.
  • Aufzug
    Entscheidend ist auch die Größe des Aufzugs. Ein barrierefreier Aufzug sollte 1.400x 1.100 mm nicht unterschreiten. Befindet sich der Betroffene in einer fast liegenden Sitzposition, die nicht geändert werden kann, muss die erforderliche Länge genau gemessen werden.

Unterkunft: Empfehlungen

Wir haben bisher nur wenige Hotels und Ferienwohnungen gefunden, die auch für schwerer Betroffene optimal waren. Jedoch mit ein bisschen Kreativität kann man vieles kompensieren. Unsere Empfehlungen:

  • Hotels
    Seehotel Rheinsberg in Brandenburg. Vom höhenverstellbaren Bett, ausleihbaren Duschrollstühlen bis zur barrierefreien Sauna – sehr gut.
    Gute Erfahrungen hat Anja auch mit Hotels des Verband christlicher Hoteliers gemacht.
    Ein Hotel perfekt auf Rollstuhlfahrer eingestellt, ist das Mary sol auf Teneriffa, das in unmittelbarer Nachbarschaft ein großes Sanitätshaus hat.
  • Ferienwohnungen sind individueller. Keine zeitlichen Festlegungen für die Mahlzeiten, man wird nicht beobachtet. Es ist einfach alles lockerer. Jedoch muss sich die Begleitung nun auch um die Bereitung des Essens und den Einkauf kümmern.
  • Jugendherbergen sind eine gute Alternative. Häufig sind sie auf Rollstuhlfahrer eingestellt.
  • Schiffsreisen
    Gute Erfahrung hat Anja mit Schiffsreisen gemacht. Die Aida hat spezielle Kabinen für Rollifahrer. Die Kabinen sind groß genug, die Badezimmer eigentlich auch, doch die Anordnung von Waschtisch und Toilette oft ungünstig für das Umsetzen. Innerhalb des Schiffes gibt es mit dem Rollstuhl keine Probleme. Jedoch gibt es in der Regel Schwierigkeiten, wenn in den Anlegehäfen über die Aida rollstuhlgeeignete Ausflüge gebucht werden wollen. Nach ewigen Wartezeiten kommen überteuerte Angebote oder auch kein Angebot. Tipp: Hat man einen faltbaren Rollstuhl und kann umgesetzt werden, nimmt man einfach ein Taxi am Hafen und macht Sightseeing auf eigene Faust. Wir haben auf der Ostseereise sehr gute Erfahrungen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und den hop on hop off Bussen gemacht. Der Bericht über unsere Ostseekreuzfahrt gibt nähere Auskünfte.
    Es gibt Kreuzfahrtschiffe, bei denen die Begleitung sogar ermäßigt oder kostenfrei mitfahren kann.
  • Alle logistischen und funktionellen Probleme vermeidet man mit einem rollstuhlgeeigneten Wohnmobil. Die Hilfsmittel finden Platz, man hat das Klo immer dabei. Es ist eine tolle Art, Urlaub zu machen. Natürlich sind die Begleiter noch mehr gefordert. Nun gilt es auch, geeignete Stellplätze zu finden, Wasser, Abwasser und Batterieanzeige im Auge zu behalten. Übernachtet man ab und zu auf einem Campingplatz, sind meist gute barrierefreie sanitäre Anlagen vorhanden und man kann – ohne das Gefälle des Stellplatzes zu beachten – entspannt duschen.

Reiseziele

Keine Angst vor anderen Ländern. Kroatien, Barcelona, Südtirol, Norwegen sind uns besonders positiv aufgefallen. Wir hatten die Reisen selbst organisiert.

Für Reisen nach Schottland empfehlen wir einen Veranstalter für barrierefreie Reisen. Alles war sehr gut auf Rollstuhlfahrer abgestimmt und wir konnten die Reise stressfrei genießen.

Bewegung erleben

  • Mit dem Rollstuhlfahrrad kann man bei entsprechender Begleitung die Natur hautnah erleben.
    Beispiel:  Rollfiets®
  • Bei einem Schwimmbad mit Lifter ist selbst mit invasiver Beatmung entspanntes Baden möglich.