Mein persönliches Pflegebudget

Ein Erfahrungsbericht von Jan Grabowski

 

Niemand kann wirklich eine für jedermann gleichermaßen passende Lösung für die jeweilige persönliche Pflege anbieten! Ausgehend von den persönlichen Voraussetzungen muss jeder für sich und gemäß seinen Wünschen die optimale Lösung selbst finden. In welchem Stadium der Krankheit befinde ich mich? Wie sieht mein persönliches Umfeld mit Familie, Freundeskreis und Wohnung aus? Welche Ausstattung mit Hilfsmitteln und welche finanziellen Möglichkeiten habe ich? Je nach weiterem Verlauf der Krankheit müssen daran immer wieder Veränderungen vorgenommen werden.

Ich habe z.B. nach meiner Diagnose im Mai 2004, neben dem Versuch die Krankheit ALS zu akzeptieren, auch gleich mit der Suche nach einer barrierefreien Wohnung begonnen. Damals bekam ich auf Antrag die Pflegestufe 2 und beauftragte, für die benötigte Hilfe, einen Pflegedienst. Je weniger ich fortan selbst machen konnte, wurde mein Hilfebedarf größer und anspruchsvoller. Leider musste ich feststellen, dass mein Pflegedienst die notwendige Flexibilität nicht leisten konnte und meine Familie sowie Freunde sollten von mir aus, nicht mit meiner Pflege belastet werden.

So hat mir dann der Gesetzgeber gerade rechtzeitig meine persönliche Lösung ermöglicht: Mein persönliches Pflegebudget!

Ab dem 1. Januar 2008 hat jeder Pflegebedürftige einen Rechtsanspruch darauf, seine eigene Pflege im Rahmen des festgestellten Bedarfs selbst zu organisieren und das Geld dafür in Form eines Pflegebudgets von den Leistungsträgern zu erhalten! Unterschiedliche Leistungen von Krankenkasse, Arbeitsamt, Integrationsamt, verschiedene Versicherungen, Rentenversicherung oder dem Sozialamt können auf Antrag zu einer monatlichen Summe zusammengefasst werden.

Fakt ist, dass wir mit unserer immer weiter fortschreitenden Erkrankung schnell an die Grenzen unserer finanziellen Belastbarkeit kommen. Bis zur „rund um die Uhr Betreuung“ ist es nur ein kurzer Weg und traditionelle Lösungen decken den eigentlichen Pflegebedarf nur unzureichend.

Das persönliche Budget soll die Pflegesituation für Patienten verbessern und die Angehörigen sowohl pflegerisch als auch finanziell entlasten. Damit kann erstmals jeder selbst entscheiden, ob man lieber einen Pflegedienst (fremdbestimmt) in Anspruch nehmen will und Glück haben muss, den richtigen zu finden, oder ob man sich in eigener Verantwortung um Assistenten und damit selber (selbstbestimmt) um die eigene Pflege kümmern will. Mit dem genehmigten Geld vom Pflegebudget fällt es zumindest leichter, die individuell notwendige Hilfe zu finanzieren.

Ich habe mich bereits im Laufe des Jahres 2007 für das persönliche Pflegebudget entschieden. Durch Recherchen im Internet hatte ich rausgefunden, dass genau das Pflegebudget die perfekte Lösung für mein Pflegeproblem sein könnte. Alles Wichtige habe ich erstmal hier beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefunden:

Bundesministerium für Arbeit und Soziales zum Pflegebudget

Besonders weiter unten finden sich eine gute Broschüre des Bundesministeriums und Dateien mit Fragen zum Pflegebudget! Außerdem findet man unter Empfehlungen auf dieser Seite auch die Handlungsempfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), schlicht noch immer die “heilige Bibel” für die budgetierbaren Leistungen aller potentiellen Leistungsträger für das Pflegebudget!

Hier noch ein paar weitere Informationen und Modellbeispiele für das persönliche Pflegebudget auf den folgenden Seiten im Internet:

Forsea Bundesverband  
Da steht schon mal alles wesentliche, was man wissen sollte.

Nach der theoretischen Information verschaffte ich mir einen Überblick über meine eigene Situation. Mein Schwerbeschädigtenausweis zeigte 100% und die Buchstaben G, aG, B, H und RF. Ich fuhr selbst mit einem E-Rolli und konnte noch ein paar Schritte mit Hilfe laufen. Ich brauchte inzwischen so ziemlich bereits bei allen Tätigkeiten Hilfe und habe, aufgrund beginnender Atemprobleme, für die Nacht zusätzlich unterstützende Beatmung angedacht.

Mein Antrag auf Erhöhung der Pflegestufe ergab diesmal bei einer Überprüfung des MDK einen Pflegebedarf von 8 Stunden täglich, also Pflegestufe 3 Härtefall. Inzwischen bedeutet das den Pflegegrad 5! Die Pflegesachleistung der Pflegekasse deckt die anfallenden Kosten nicht ab. Also habe ich beim Sozialamt Hilfe zur Pflege beantragt und bekommen. Diese Leistung ersetzt den Privatanteil der Pflegekosten, wenn die den Wert der Pflegesachleistung übersteigen.

Da diese Summe aber nur meinen minimal notwendigen Pflegebedarf abdeckte und mein Pflegedienst ohne zusätzliches Geld nicht mehr leisten wollte und konnte, musste ich mir etwas einfallen lassen. Auch der nochmalige Blick in meine Unterlagen über alle bisher genehmigten Leistungen brachte nichts Neues. Im Gegenteil mir stieß erneut sauer auf, dass ich alle 2 Wochen im Tausch gegen den grimmigen Blick meines Arztes auch noch Rezepte für die regelmäßigen Therapien holen musste. Für eine allumfassende Lösung durch ein Pflegebudget reichte das aber leider noch nicht!

Also habe ich erstmal einen neuen Antrag auf Pflegebegutachtung bei der Krankenkasse gestellt und diesem die Verschreibung von 24h-Pflege durch meinen Arzt beigelegt. Das war begründet durch die inzwischen größer werdende Gefahr eines Atemstillstands. Leider müssen wir mit unserer Krankheit uns früher oder später alle mit diesem Problem herumschlagen. Vorausschauend hatte ich deshalb auch gleich eine Beschreibung der Problematik bei ALS beigelegt. Bei der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst sollte sich das als vorteilhaft erweisen. Der Gutachter vom MdK war bestens informiert, hat gleich die richtigen Fragen gestellt, wollte nur noch seine Einschätzung von der ALS-Ambulanz der Charité bestätigen lassen. Da die Doktoren dort ebenfalls bereits informiert waren, war das nur noch eine Formsache.


Bei mir wurde nach ein paar Tagen ein Pflegebedarf von 8 Stunden Nachtbeobachtung (Behandlungspflege bezahlt von der Krankenkasse), zusätzlich zu den bereits festgestellten 8 Stunden Grundpflege (bezahlt durch Pflegekasse, Sozialamt) bewilligt. Mein Pflegedienst hat die zusätzlichen Stunden für die Nachtbeobachtung bereits vorher durchkalkuliert und, da vom Arzt verordnet, auch ab der Verschreibung durchgeführt. Dafür hatte er mit der Krankenkasse einen Stundensatz von 28,- €/Stunde verhandelt. Die Gesamtsumme von ca. 11.600,- €, resultierend aus den Leistungen von Krankenkasse und Sozialamt, bildete nun endlich eine ordentliche Grundlage für ein Pflegebudget!

Mit dem Rechtsanspruch im Rücken habe ich diese Summe als eigenes Pflegebudget bei meiner Krankenkasse beantragt, bestehend aus:

  • dem Geld für die Nachtbeobachtung, (Stundensatz des Pflegedienstes)
  • der Hilfe zur Pflege und der Teilhabe am öffentlichen Leben vom Sozialamt,
  • den Leistungen für meine regelmäßige Therapie,

als monatliche Zahlung innerhalb eines persönlichen trägerübergreifenden Pflegebudgets.

Bei welchem der Leistungsträger man den Antrag stellt und zwar für alle anderen Leistungen gleich mit, ist egal. Gut vorbereitet ist halb gewonnen! Der Antrag sollte genau die Summe der einzelnen Leistungen, den jeweiligen Leistungsträger und am besten auch die passende rechtliche Grundlage enthalten. Jetzt haben die Leistungsträger erstmal ein bisschen Zeit zur Beratung, die man gerne mit regelmäßigen Nachfragen und Zuarbeiten beschleunigen kann. Nach 4 Wochen muss der verantwortliche Leistungsträger, in der Regel derjenige mit der größten Teilleistung, eine grundsätzliche Entscheidung getroffen haben. Dank des Rechtsanspruches sollte diese normalerweise positiv ausgehen. Allerdings versuchen die Krankenkassen gerne, das zu verhindern. Oftmals liegt das aber nur an fehlendem Wissen und mangelnder Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Durch intensiven persönlichen Kontakt zu den Entscheidern und Unterstützung bei der Suche nach Informationen, kann man dem entgegenwirken. Ich habe die Mitarbeiter der Krankenkasse zum Thema Pflegebudget fit gemacht!

Reagiert der zuständige Kostenträger, sollte man möglichst einen Termin vereinbaren. Dabei werden die Inhalte der Zielvereinbarung besprochen. Diese legt verbindlich die Höhe der monatlichen Zahlung, die einzelnen Teilleistungen der jeweiligen Leistungsträger und die Rechte und Pflichten aller Beteiligten fest. Auch wenn die Summe da noch fehlen sollte, auf jeden Fall unterschreiben. Eine Verweigerung der Unterschrift bringt nur Zeitverlust. Spätestens der Bescheid fixiert die Summe und ist widerspruchsfähig.

Spätestens beim ersten Gespräch über die Zielvereinbarung sollte man selbst absolut fit sein über die gesetzlichen Grundlagen und konkrete Vorstellungen davon haben, besser noch eine fertige Kalkulation, wie man das Geld monatlich ausgeben und damit seine Pflege organisieren will. Oder man hat jemanden dabei, der sich so gut auskennt!

Das Hauptproblem sind dabei nicht die Paragraphen, vielmehr ist die Tendenz leider groß, dass uns scheinbar jeder Sachbearbeiter einer Krankenkasse neben unseren körperlichen Gebrechen auch keine geistige Leistung mehr zutraut. Meine Lösung war der intensive Kontakt zu meiner Krankenkasse vor Ort, die Mitarbeiter haben sich persönlich dafür verbürgt, dass ich die Fähigkeit habe, ein Pflegebudget selbst zu verwalten. Bei der Beantragung sollte jeder das unbedingt berücksichtigen und entsprechende Argumente bereithalten!
Die Vorarbeit ist das Schwerste! Denn außerdem sollte man vorher auch mit seinen potentiellen Assistenten schon grundsätzliche Vereinbarungen treffen. Ein Pflegebudget ohne Pfleger ist ja irgendwie nicht so prickelnd! Am besten ist, man fragt zuerst seine Pflegerinnen, ob Sie nicht fest für uns arbeiten wollen. Braucht man noch weitere, lohnt sich auch ein Blick oder eine eigene Annonce hier:

Assistenzboerse oder bei Facebook.

Ab Januar 2008 sollte mein Pflegebudget laufen. Doch obwohl ich alles sehr genau vorbereitet hatte, ja den Mitarbeitern der Krankenkasse durch Zuarbeiten der wichtigsten Unterlagen die Arbeit enorm erleichtert hatte und alle bis zur Geschäftsführerin mich schon persönlich kannten, legte ausgerechnet die entsprechende Fachabteilung in der Zentrale der Krankenkasse ihr Veto ein. Ausgerechnet diejenigen, die mich persönlich überhaupt nicht kannten, zweifelten an einer bedarfsgerechten Pflege, quasi an meinem Vermögen selbst zu wissen, was ich brauche, und schoben noch Haftungsprobleme vor.

Doch da hatten sie ihre Rechnung ohne mich gemacht! Ich hatte nicht alle einschließlich mir seit einem halben Jahr fit gemacht, um beim ersten Rückschlag gleich aufzugeben. Also habe ich mit Hilfe der gesetzlichen Bestimmungen, den internen Handlungsempfehlungen der Krankenkasse zum Pflegebudget und eines wissenschaftlichen Rechtsgutachtens zum Pflegebudget meinen Widerspruch begründet. Ärztliche Stellungnahmen der ALS-Ambulanz, meiner Kurklinik und des Medizinischen Dienstes habe ich beigefügt. So habe ich auf 9 DIN-A4-Seiten ausführlich die Argumente der Krankenkasse widerlegt. Doch es bedurfte zusätzlich noch der persönlichen Einflussnahme der Geschäftsführerin meiner Krankenkasse vor Ort, um nach weiteren 3 Monaten im Mai endlich mein Pflegebudget genehmigt zu bekommen.

Das Sozialamt hatte übrigens bereits im Februar seine Genehmigung erteilt! Überhaupt haben sich die Damen des Sozialamts als sehr umgänglich und gut informiert gezeigt.

Im Juli 2008 hatte ich endlich vollständig mein trägerübergreifendes persönliches Pflegebudget und organisiere seitdem meine 24h-Pflege selbst. Die ganze Beantragung war zwar alles andere als ein Spaziergang, zumal ich zu den ersten Antragstellern bundesweit gehörte. Doch nachdem ich nachgewiesen habe, dass nur mein Körper nicht mehr alles kann, wohl aber mein Kopf, war der zustimmende Bescheid nur noch eine Frage der Zeit!


Natürlich hat man die gesamte Organisation der Pflege dann selbst am Hals, aber genau darin liegt ja die Chance! Jetzt entscheide nur ich, wie, wann und wo ich gepflegt werde. Meine Pfleger kennen sich inzwischen selbst gut aus, sie erhalten mehr Geld als beim Pflegedienst, und ich habe die Flexibilität, die ich brauche! Dafür benötige ich 5 Assistenten und 2 Springer, die meine Pflege rundum die Uhr gewährleisten. Zur Not
steht ein Pflegedienst zur Verfügung, der bei Bedarf Teile der Pflege übernimmt.

Alles bezahle ich aus dem Pflegebudget. Zur Organisation habe ich mich für das klassische Arbeitgebermodell entschieden, mit dem das Pflegebudget wie eine kleine Firma betrieben wird. Für die Lohnbuchhaltung habe ich einen Steuerberater gewinnen können. Dadurch hält sich meine Büroarbeit in Grenzen.

Mit dem ursprünglichen Budget kam ich bis zum Herbst 2013 gut klar. Mein Personal unterstützte mich gut, aber meine Atmung machte immer mehr Probleme und Verschlucken wurde häufiger. Dadurch musste ich deutlich länger beatmet werden, bis zu 16 Stunden täglich, und musste mir immer mehr Nahrung über die PEG geben lassen. Ich wurde immer schwächer.

Ich habe mich deshalb für die Tracheotomie entschieden. Leider wollte/konnte nur ein Pfleger meines Pflegeteams diesen Weg mitgehen. Anderen fehlte die Qualifikation oder sie hatten mehr Angst als ich! Glücklicherweise fand ich schnell Ersatz, aber seitdem hat es ein Jahr mit ständigen Wechseln gedauert, bis ich ein Team gefunden habe, das den Anschein von Dauerhaftigkeit hat. Mein Team ist jetzt schon über drei Jahre zusammen.

Durch den erhöhten Pflegebedarf ist es mir gelungen, der Krankenkasse bereits einige Erhöhungen des Budgets abzuhandeln. Aktuell bezahle ich mehr Gehalt, gemäß der anspruchsvolleren Arbeit. Ein sehr persönliches Verhältnis wächst aber nicht nur durch mehr Geld, sondern nur mit der Zeit. Dazu gehören natürlich Verantwortungsgefühl und Einfühlungsvermögen als Arbeitgeber. Letztlich ist nur durch gegenseitige Fürsorge ein dauerhaftes Miteinander möglich.

Inzwischen sind knapp 10 Jahre mit meinem Pflegebudget vergangen und nicht an einem Tag musste ich die Entscheidung dafür bereuen! Hat man die Genehmigung erstmal erkämpft, ist die Arbeit nur noch minimal. Bereits von Beginn an habe ich eine Bürohilfe eingearbeitet und musste fortan selbst nur noch darauf achten, dass die Unterlagen vollständig und nachvollziehbar bleiben.

Bleibt abschließend nur zu sagen: „Gute Planung ist der halbe Sieg!“ Die detaillierte Vorbereitung mit genauer Kenntnis der gesetzlichen Grundlagen verbunden mit guten Kontakten zu behandelnden Ärzten und der Krankenkasse (im Zweifel neue schaffen!) sind die Erfolgsfaktoren für ein ausreichendes Pflegebudget! Immer auch daran denken, wenn Verhandlungspartner nicht viel über das Pflegebudget wissen, ist das schlecht für uns. Also machen wir sie mit Unterlagen fit! Reiner Eigennutz!

Über den Verein biete ich gemeinsam mit einer Budgetassistentin Hilfe bei der Vorbereitung, Beantragung und Organisation Ihres Pflegebudgets an. Schreiben Sie mir gerne eine E-Mail.