2. Beatmungs- und Informationsveranstaltung

11. Mai 2016
2. Beatmungs- und Informationsveranstaltung

„Lebenswertes Leben mit ALS für Betroffene von Betroffenen“

Am 26. April 2014 war es soweit, der gemeinnützige Verein ALS-mobil e.V. lud zu seiner 2. Beatmungs- und Informationsveranstaltung „Lebenswertes Leben mit ALS – für Betroffene von Betroffenen“ nach Berlin ein. ALS steht für die Muskelerkrankung „Amyotrophe Lateralsklerose“.

Auch dieses Mal gelang es wieder, die bewährte Mischung aus Erfahrungsberichten Betroffener und Vorträgen von Fachleuten aus den Bereichen Therapie, Versorgung und Pflegeberatung für ALS-Patienten zusammenzustellen. Ergänzt wurde das Angebot durch eine kleine Industrie-Ausstellung. Ein Highlight war die Versteigerung von Bildern zu Gunsten des ALS-mobil e.V.

80 Teilnehmer, neben vielen ALS Betroffenen und deren Angehörigen, auch Interessierte von Pflegediensten und Hospizen, nutzten die Gelegenheit sich zu informieren, auszutauschen und Anregungen für den Alltag mit ALS zu holen.

Die Veranstaltung begann nach der Begrüßung durch den Organisator und 2. Vorsitzenden des ALS-mobil e.V. Oliver Jünke mit einer Schweigeminute für zwei kürzlich verstorbene Vereins-mitglieder. Anschließend informierte der Leiter der Ambulanz für ALS und andere Motoneuronenerkrankungen, Prof. Dr. Thomas Meyer, über den aktuellen Stand der Stammzellenforschung. Hierein setzen viele ALS Patienten große Hoffnungen, dass „neue“ Stammzellen die abgestorbenen Motoneuronzellen ersetzen und die Verbindung zwischen Rückenmark und Muskel wieder herstellen könnten. Allerdings, dass diese Verbindungen neu wachsen können, wird von vielen Wissenschaftlern bezweifelt. Die Potenziale einer Stammzellentherapie gegen ALS liegen deshalb eher im Austausch bestimmter Unterstützerzellen der zugrunde gegangenen Zellen. Dieses Verfahren kann zwar nicht die abgestorbenen Motoneuronzellen zum Leben erwecken, wohl aber den Prozess der Degeneration verlangsamen oder vielleicht sogar stoppen. Dieser Ansatz wird derzeit in zwei klinischen Studien, eine davon in den USA an der renommierten MAYO Klinik, erforscht. Kurz gesagt, die bisher angebotenen und nicht von der Krankenkasse übernommenen Stammzelltherapien geben keine Garantie auf Heilung und sind nicht wissenschaftlich begleitet und es wird eher davon abgeraten.

Frau Dr. Ute Oddoy, selbst ALS Betroffene, forderte in Ihrem Vortrag „Chancen nutzen“ dazu auf, frühzeitig Hilfsmittel in Anspruch zu nehmen sowie die Pflege und Unterstützung mit Hilfe von Familie, Freunden und geeigneten Pflegepersonen so zu organisieren, dass die Herausforderung auf viele Schultern verteilt werden kann. Damit gab sie ein anschauliches und lebhaftes Beispiel dafür, wie wichtig es für Betroffene und Ihre Familien ist, Bedürfnisse zu benennen und Ansprüche durchzusetzen.

Nach der ersten Pause, die neben der leiblichen Stärkung auch zum lebhaften Erfahrungsaustausch genutzt wurde, brachte Frau Anne Conrad vom Charité Zentrum für ambulante Beatmungsmedizin und Sauerstofftherapie (CABS) den Teilnehmern das Thema: „ALS und Beatmung- mit physiologischen Aspekten und Sekretmanagement“ nahe. Durch ihre ausführlichen und anschaulichen Beispiele förderte sie ein tieferes Verständnis für die Atmung, das Husten zur Sekretelimination, die Konsequenzen, die sich aus der Schwäche der Atemmuskulatur ergeben und welche Maßnahmen sinnvoll und erforderlich sind, Gefahren abzuwenden und Komplikationen vorzubeugen.

Neben der Atmung ist die Ernährung ein wichtiges Thema für die ALS-Erkrankten. Essen soll Genuss sein und den Körper mit Energie versorgen. Wenn jedoch eine Mahlzeit „ewig“ dauert, das Essen immer wieder in der falschen Kehle landet und die Patienten zusehends abmagern, ist das ein Alarmzeichen. Schluckbeschwerden sind ein Symptom, das früher oder später auftritt. Dann muss ggf. die Entscheidung für eine Ernährungssonde gefällt werden. Der Internist Dr. Frank Kalbitz, Oberarzt am Krankenhaus Martha-Maria in Halle, stellte dem Publikum „PEG-Formen und Anlagetechniken“ vor. Bei der herkömmlichen Methode mittels Magenspiegelung muß i.d.R. eine Sedierung verabreicht werden, welche sich bei ALS-Patienten in gefährlichem Masse dämpfend auf den Atemantrieb auswirken kann. In Halle wird seit mehreren Jahren eine Methode praktiziert, die es ermöglicht, nur unter örtlicher Betäubung und Ultraschallkontrolle die Sonde durch die Bauchwand in den Magen zu führen. Herr Dr. Kalbitz betonte, dass man auch mit einer liegenden Magensonde weiter Nahrung oral zu sich nehmen könne. Und keineswegs nur noch Sondenkost auf dem Speisenplan stehen darf. Mit diesem ermutigenden Worten ging es in die Mittagspause.

Anschließend ließ uns Frau Angela Jansen, selbst seit Jahren mit einer PEG versorgt, an Ihren Erfahrungen mit „Ernährung mit PEG“ teilhaben. Sie verzichtet weitestgehend auf Sondenkost und benötigt keine Ernährungspumpe. Sie „kocht“ selbst. In ihrem Blickfeld werden die Zutaten nach ihren Wünschen zubereitet, püriert und portionsweise (als Bolus) durch die Magensonde gegeben. Die Hausmannskost ist abwechslungsreich, appetitlich und bekömmlich. Besonders schätzt sie Ihren Kaffee heiß und stark. Und nicht nur auf Reisen empfindet sie die Magensonde eher als Entlastung den als Belastung. Schließlich dauert solch eine Mahlzeit nur wenige Minuten und sie kann sich wieder ganz den Eindrücken und Aktivitäten widmen.

Frau Schmidt Statzkowski (Premio Berlin) gab in ihrem Referat „Soziale Konflikte und Patientenautonomie“ Hinweise, wie Leistungen der Behandlungspflege, persönlichen Assistenz und Grundpflege finanziert werden können. Sie wies anschaulich auf die oft erheblichen finanziellen Einbußen für Betroffene und pflegende Angehörige hin und zeigte Unterstützungsmöglichkeiten auf.

Bevor es dann in die Kaffeepause ging, folgte die Versteigerung von Werken zweier ALS Betroffener. Der Künstler Jürgen Thiele stellte drei ausdrucksstarke, abstrakte Aquarelle zur Verfügung. Jedes der Bilder hatte seinen ganz eigenen Charakter und unvergleichliche Farbgebung. Die Kreative Heide Pfuetzner gestaltet ihre Gemälde mit Hilfe der Brain-Paint-Technik. Sie schafft quasi mit Hilfe eines Computers durch Gedankenkraft eine Farben- und Formenpracht, die den Betrachter in fasziniertes Staunen versetzt.

Der Erlös bringt den ALS-mobil e.V. wieder ein Stück näher an sein ehrgeiziges Ziel eines eigenen Autos für einen Mobilitätsservice unabhängig von Stadtgrenzen und mitzuführendem Equipment.

Ein besonders gelungenes Beispiel dafür, wie sinnvoll sich Expertenwissen und die Erfahrung Betroffener ergänzen, war der gemeinsame Vortrag von Jan Grabowski und Michael Brüggemann, seinem Medizinprodukteberater. Jan Grabowski hat sich im Februar 2014 zur Tracheotomie entschlossen und kann so Maskenbeatmung und invasive Beatmung vergleichen. Herr Michael Brüggemann stellte am Beispiel von Herrn Grabowski die sachgerechte Pflege von Tracheostoma und Kanüle vor. Darüber hinaus informierten sie die Teilnehmer über eine neuartige Sprechkanülen.

In der letzten Präsentation des Tages nahm Oliver Jünke die Teilnehmer mit auf seinen Weg „Von der Diagnose ALS bis zur häuslichen Intensivbeatmung“. Er ist der beste Beweis dafür, dass man mit invasiver Beatmung und Magensonde seine Tage nicht im Bett verbringen muss und wie ein selbstbestimmtes und mobiles Leben mit ALS gelingen kann.

Der Tag war randvoll mit Informationen, Eindrücken und Anregungen, die zeigten, was mit dem Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse, dem Wissen um die Möglichkeiten und ein wenig Planung alles zu Wege gebracht werden kann. Jeder ALS-Betroffene, seine Angehörigen und seine Pflegepersonen sollten zu Experten für seine Erkrankung werden. Denn so einzigartig jeder Mensch ist, so einzigartig kann und muß das Leben mit ALS gestaltet werden.

Abschließend noch ein Zitat von Herrn Dr. Kalbitz, das sicher stellvertretend für viele der Teilnehmer stehen mag: „Mir hat die Veranstaltung gut gefallen und auch Kraft gegeben. Ich wäre sonst auch nicht bis zum Schluss geblieben. Ein anspruchsvolles Leben mit invasiver Beatmung, Reisen, Brain-Painting – das sind Dimensionen der Krankheit ALS, die ich noch nicht lange so wahrnehme. Es setzt sicher auch eine Persönlichkeit voraus, die es so möchte und ein Umfeld, das es möglich macht. Respekt, Ihr seit ein sehr gutes Beispiel!“

 

Bericht zur 1. Beatmungs- und Informationsveranstaltung