Das etwas andere Interview

25. Juli 2020
Das etwas andere Interview

Der an ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) erkrankte Marco Schulz aus Freudental hat vor einiger Zeit das
Kinderbuch „Kleiner Marienkäfer Marie und ihre Freude“ veröffentlicht.

Jetzt war Marie zu Besuch bei Marco und hat sich mit ihm unterhalten. In der Unterhaltung geht es um Marcos Leben mit ALS, seinem Buch und auch um das neu verabschiedete Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG).
Es war ein schöner Tag, die Sonne schien und ich lag gemütlich in meinem Rollstuhl auf der Terrasse. Auf einmal kitzelte mich etwas am Ohr. Blöd dachte ich, kratzen kann ich mich nicht mehr selbst. Ich war so froh, als sich herausstellte, dass es meine Freundin Marie, der kleine Marienkäfer war. Und Marie, typisch für sie, fing gleich an zu quatschen.

,Marie: „Hallo Marco, wie geht es dir?“
Marco: „Naja, heute ganz gut. Aber diese Tage sind bei einer Krankheit wie ALS selten. Die ständigen
Spastiken, Krämpfe und Muskelzucken sind schwer jeden Tag auszuhalten. Und mit meiner Stimme geht
es langsam aber sicher auch immer mehr bergab. Meine Arme und Beine trage ich schon länger nur
noch zur Zierde. Funktionieren tun die schon eine Weile nicht mehr.“
Marie: „Das tut mir leid zu hören. Was belastet dich denn davon am meisten?“
Marco: „Ganz klar meine Stimme. Ich rede doch so gerne. Aber die Vorstellung mich irgendwann nicht
mehr richtig unterhalten zu können, bricht mir das Herz. Was viele Menschen nicht berücksichtigen,
man ist dann auch mit seinen Ängsten und Sorgen allein. Ich habe zwar einen Sprachcomputer, aber das
kann leider auch keine Unterhaltung ersetzen.“
Marie: „Das macht mich traurig zu hören. Ich denke mir eine Fähigkeit zu verlieren ist schwer. Aber du
verlierst ja alle.
Marco: „Da hast du recht. Der eigene Körper wird zum Gefängnis. Das ist sehr schwer alles zu ertragen.
Und dann kommen da noch so Dinge auf einen zu, die man nicht steuern kann.“
Marie: „Hä, das verstehe ich nicht. Was bedeutet das?“
Marco: „Ich erkläre es dir. Es gibt jede Menge Anträge und Formulare auszufüllen, für die Krankenkasse,
das Integrationsamt, der Pflegekasse und der Agentur für Arbeit. Ich habe da Glück, denn meine
wundervolle Frau kümmert sich um alles. Aber deswegen zerbreche ich mir trotzdem oft den Kopf über
das Zeugs. Denn meine Frau braucht zumindest bei den Entscheidungen Hilfe. Außerdem machen wir
uns viele Gedanken darum, wie es weitergeht.“
Marie: „Warum?“
Marco: „Haha, das ist auch die Frage, die meine Kinder immer stellen, bei allem. Aber lass es mich an
einem Beispiel erklären. Wir überlegen welche Pflegesituation für uns am besten ist. Also, wie mir am
meisten geholfen ist, meine Frau am meisten entlastet und das Familienleben nicht zu kurz kommt.
Nach meinem körperlichen Zustand zu urteilen, bräuchte ich eine Intensivpflege, 24 Stunden, 7 Tage die
Woche.“
Marie: „Versteh ich nicht, dann mach doch das mit der Intensivpflege.“
Marco: „Das ist nicht so einfach. In Deutschland gibt es Gesetze. Und Intensivpflege bekommt man erst
wenn man 10 Stunden am Tag beatmet wird. Da fällt mir ein, am 2.7 wurde das IPReG Gesetz
verabschiedet.“
Marie: „Was, IP-Was?l“
Marco: „IPReG, ist das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz. Langer Name. Kurz gesagt
erlaubt es den Krankenkassen und dem MDK zu entscheiden, ob Menschen mit hohem Pflegeaufwand,
vor allem beatmete Patienten, ins Heim abgeschoben werden können. Der ganze Mist ist auf Jens
Spahns Gesetzesentwurf gewachsen. Es geht leider wie immer nur um die Kohle. Das Schicksal und Leid
der Menschen wird vergessen. Bei vielen Krankheiten, wie auch bei meiner, gibt es keine Hoffnung auf
Heilung. Das einzige was bleibt, ist die Liebe der Familie und Freunde. Und jetzt kommt die CDU/CSU mit
Unterstützung einiger anderer Parteien auf die Idee, uns pflegebedürftigen Menschen das letzte zu
nehmen was uns Halt und Kraft im Leben gibt. Glückwunsch Politik, ihr habt damit wieder eindrucksvoll
eure Menschlichkeit und eure Nähe zum Volk bewiesen.“
Marie: „Oh, das ist aber nicht richtig von denen, dass die das einfach so machen. Sowas können nur
Menschen ohne Herz entscheiden. Jeder sollte doch selbst entscheiden dürfen, egal ob pflegebedürftig
oder gesund, wo und wie er leben will.“
Marco: „Da hast du recht. Aber bei uns Menschen wird Nächstenliebe nicht immer großgeschrieben. Da
interessieren dann auch die Grundrechte plötzlich nicht mehr. Das Gesetz missachtet die Würde der
betroffenen Menschen, dringt in ihren Alltag ein und diskriminiert sie. Aber wechseln wir das Thema, es
macht mich nur noch mehr traurig.“
Marie: „Mich auch, ich mag dich doch so gerne. Ich drück meine Fühler, dass du bei deiner wundervollen
Familie bleiben darfst. Weißt du was, ich habe gehört, dass dein Buch mit meinen Geschichten im
Handel ist.“
Marco: „Ja richtig. Oh Mann, ich sag dir, Anfangs dachte ich, wenn ich ein paar Bücher verkaufe, dann es
gut. Aber was da passiert ist, ist unglaublich. Die 1. Auflage mit 600 Büchern war innerhalb 1,5 Tagen
ausverkauft. Die 2. Auflage mit 440 Büchern ist am 10. Juli erschienen und bis auf ein paar Exemplare
auch schon vergriffen. Jetzt wird es tatsächlich noch eine 3. Auflage geben. Unfassbar, ich freue mich so
und möchte mich bei allen die ein Buch erworben haben bedanken und wünsche viel Spaß beim Lesen.
Außerdem will ich gerne noch erwähnen, dass das nur durch die Hilfe meiner Verlegerin Edith Götzfried
möglich war. Sie ist so eine sympathische und herzliche Frau. Die Zusammenarbeit ist einfach toll.“
Marie: „Wow Glückwunsch. Dann bin ich jetzt ein kleiner Star, wie cool. Und erzählst du noch mehr
Geschichten von mir?“
Marco: „Geplant habe ich es. Und wenn mir die Krankheit die Zeit gibt und Kraft lässt, dann ist der Plan
2021 einen Kinderroman von deinem großen Abenteuer zu schreiben.“
Marie: „Au ja, das war aber auch spannend mit den Raben…“
Marco: „Marie halt, noch nichts verraten.“
Marie: „Oh ja stimmt, fast vergessen. Also dann mein Freund, ich muss jetzt nach Hause, sonst machen
sich meine Eltern Sorgen. In Zeiten von Corona darf man sich ja nicht umarmen, daher schick ich dir
einen Windstoß. Bis bald.“
Marco: „Schön, dass du da warst. Bis bald.“

Wer Interesse hat, Marcos Leben mit ALS weiter zu verfolgen, kann dies auf Instagram tun. Hier findet ihr
ihn unter goofy253.