Ausflug in die Lutherstadt Wittenberg

12. Mai 2016
Ausflug in die Lutherstadt Wittenberg

Ausflug in die Lutherstadt Wittenberg 2015Es war Sonnabend und es war kalt und nieselig. Wie soll man da am nächsten Tag mit 9 Rollstuhlfahrern Wittenberg erkunden? Doch der Sonntag, der 31. Mai 2015, brach an und das Wetter wurde schön. Alle angemeldeten Teilnehmer kamen. Bei zum Teil invasiv beatmeten ALS-Betroffenen eine große Leistung. Schließlich hängt die Teilnahme auch von der Begleitung und Assistenz ab und die Logistik muss stimmen. Schon ein kleiner Infekt reicht, um den Ausflug zu verhindern.

Einige kamen mit der Bahn. Die direkte Verbindung Berlin – Wittenberg und die barrierefreien Bahnhöfe machten es möglich. Mit dem entsprechenden Behindertenausweis ist die Regionalbahn für den Betroffenen und seine Begleitung kostenfrei. Nachteil ist die Anmeldung der Fahrt im Vorfeld. So ist man an die jeweiligen Züge gebunden und zeitlich nicht flexibel.

Erschüttert war ich, dass der Fahrdienst für einen unserer invasiv beatmeten Teilnehmer 350€ kostete. Er kann von seinem Wohnort keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. (Bei invasiver Beatmung sowieso schwierig.) Ein eigenes rollstuhlgeeignetes Auto ist mit kleiner Rente nicht finanzierbar. Also heißt es für unseren Verein, Lösungen zu finden. Leider wird von öffentlicher Seite das Problem der Mobilität und damit auch der Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen verdrängt.

Wesentlich komfortabeler war natürlich die Anreise mit eigenem rollstuhlgeeignetem Auto. Gut, dass es gegenseitige Hilfe gibt und einige Teilnehmer von anderen mitgenommen wurden.

Nach einer kleinen Erfrischung auf der Terrasse der „Alten Canzley“ (mit Rolliklo) teilten wir uns in zwei Gruppen zu je 12 Leuten. Ein Video in der Touristinformation gab einen ersten Überblick über die Lutherstadt und ihre Geschichte. Danach 2,5 Stunden Führung durch Wittenberg. Unsere beiden Rollikaravanen wurden schon etwas verwundert von den Passanten beobachtet.

Von der Tür der Schlosskirche, an die Luther seine 95 Thesen heftete, die den Beginn der Reformation bedeuteten, ging es vorbei an den geschichtsträchtigen Häusern der Innenstadt. Wittenberg wurde sehr behutsam seit der Wende saniert. In das grobe Natursteinpflaster wurden gut mit dem Rollstuhl befahrbare Streifen aus Plattenbelag eingearbeitet. Am freigelegten Bachlauf der Schlossstraße und Collegienstraße gibt es Cafes Restaurants und Eisdielen.

Schlecht befahrbar sind die beiden Cranachhöfe am Markt, aber auch vom Torbogen aus gewannen wir einen Eindruck, wie es zu Luthers Zeiten ausgesehen hat.

In der Stadtkirche mit dem Cranachaltar hielt Martin Luther seine Predigten. Die Kirche ist sehr gut mit dem Rollstuhl befahrbar.

Das Gebäude der Leucorea war eine der meistfrequentierten Universitäten des 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Martin Luther und sein enger Mitstreiter und Freund Melanchton unterrichteten hier. Gleich daneben betrachteten wir das Wohnhaus Melanchtons. Heute ist es ein Museum und durch den modernen Anbau in vielen Bereichen barrierefrei.

Den Abschluss der Führung bildete das Lutherhaus. Hier lebte Luther mit seiner Frau Katharina von Bora. Sie lenkte und leitete den großen Haushalt mit seinen zahlreichen Gästen. Auch in diesem Museum sind viele Räume durch einen modernen Zwischenbau mit dem Rollstuhl erreichbar.

Nach der langen Führung trafen wir uns im Best Western Hotel gleich neben dem Lutherhaus. Das Hotel bietet eigentlich keine Kaffeetafel am Sonntag an, hat jedoch dankenswerter Weise sowohl Kaffee und Kuchen und auch eine Auswahl an warmen Speisen bereit gehalten. Die rückseitige Terrasse ist gut mit dem Rollstuhl zu erreichen. Jedoch nutzten die meisten den großzügigen Gastraum. Schnell und unkompliziert veränderte die Serviererin die Bestuhlung, so dass wir alle an einer großen Tafel Platz fanden. Nun war endlich Zeit für Gespräche und um sich zu stärken. Die Leute mit einer PEG erhielten wie immer unkompliziert ihre Nahrung über den Schlauch der PEG. Auch Kaffee und ein Bierchen passen da prima durch.

Unsere invasiv beatmeten Teilnehmer kommunizieren mit Hilfe ihrer augengesteuerten Computer. Jedoch funktionieren diese nicht bei Tageslicht im Freien. Eine große Einschränkung besonders im Sommer. Hoffentlich stellt sich die Reha – Industrie bald diesem Problem.

Fazit :

Wir haben wieder einmal bewiesen, selbst mit großen körperlichen Einschränkungen ist vieles möglich. Mit Kreativität und etwas Mut kann man die meisten Hindernisse beseitigen.

Wittenberg ist auch für Rollstuhlfahrer eine interessante Stadt. Jedoch ist die einzige öffentliche Rollstuhltoilette außerhalb der Öffnungszeiten von den beiden Museen Lutherhaus und Melanchtonhaus eindeutig zu wenig. Vielleicht kann im Zuge der Vorbereitungen des Lutherjahres 2017 zumindest die Toilette an der Touristinformation DIN-gerecht umgebaut werden und rund um die Uhr nutzbar sein.

Wir bedanken uns natürlich ganz herzlich bei unseren Angehörigen und Assistenten für die Begleitung. Ohne ihre Hilfe sind solche Ausflüge undenkbar. Wir bedanken uns bei der Touristinformation für die unkomplizierte Organisation der Führungen und des Weiteren bei unseren Stadtführern, dem Ehepaar Ofenau. Familie Ofenau hat sich sensibel und professionell auf unsere doch etwas außergewöhnliche Gruppe eingestellt. Die „Alte Canzley“ und das Best Western Hotel sind nur zu empfehlen. Danke.

Anja Clement Vorstandsmitglied des ALS-mobil eV

                                                

Vereinsausflug nach Wittenberg 2015