Seit August vergangenen Jahres erhitzt das GKV-IPReG die Gemüter.
Was aber sagt eigentlich der Bevollmächtigte der Bundesregierung für Pflege Andreas Westerfellhaus zu dem Gesetzesvorstoß des Bundesgesundheitsministeriums?
Die “beatmet leben” hat ihn gefragt.
Das IPReG ist vom Kabinett beschlossen; damit wird die außerklinische Intensivpflege – vor allem die häusliche Versorgung – vor großen Veränderungen stehen. Gerade Menschen, die außerklinisch intensivversorgt in den eigenen vier Wänden leben, haben große Angst. Können Sie diese Betroffenen beruhigen?
Andreas Westerfellhaus:
Die Selbstbestimmung von Pflegebedürftigen und Angehörigen muss unbedingt respektiert werden. Die außerklinische Intensivpflege ist daher mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf auch weiterhin in der eigenen Häuslichkeit möglich, wenn die Versorgung dort sichergestellt werden kann. Dies soll künftig durch den kassenunabhängigen Medizinischen Dienst einmal im Jahr geprüft werden. Das finde ich auch richtig.
Ich hätte mir jedoch gewünscht, dass man hier kein eigenes Verfahren vorsieht, sondern diese Frage bei der
normalen Qualitätsprüfung des Intensivpflegedienstes prüfen lässt.
Häusliche Versorgungen sollen zukünftig mindestens jährlich durch den MD begutachtet werden.
Kern dieser Überprüfung ist festzustellen, ob die Versorgung dauerhaft und tatsächlich – medizinisch wie pflegerisch – sichergestellt werden kann. Dann entscheidet die Krankenkasse. Können Sie erklären, was dauerhaft und tatsächlich letztlich bedeuten?
Entscheidend sind die individuellen Versorgungsbedingungen vor Ort. Der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass ein Intensivpflegesetting funktioniert, wenn es einen stabilen Dienstplan gibt unter Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeitregularien. Ebenso müssen Notfallregelungen existieren für den Fall, dass eine Pflegeperson wegen Krankheit ausfällt. Denn eine fehlende Versorgung kann katastrophale Folgen haben.
Das muss auf jeden Fall verhindert werden. Allerdings sollte man in der Tat dem Medizinischen Dienst eindeutigere Prüfkriterien an die Hand geben. Denn die Prüfung kann ja existenzielle Folgen für die Betroffenen haben. Deshalb darf das Ermessen des Gutachters nicht groß sein, sondern muss durch klare Leitlinien des Gesetzgebers gelenkt werden.
Wer den Medizinischen Dienst zur Überprüfung nicht in die Wohnräume lässt, verliert laut IPReG die Versorgung beziehungsweise wird in eine stationäre Einrichtung oder spezialisierte Wohneinheit überführt. Woher weiß der Betroffene, ob der MD-Mitarbeiter die notwendige Fachkenntnis zur Überprüfung hat?
Muss man als Betroffener hinnehmen, möglicherweise von einem Orthopäden begutachtet zu werden?
Die Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes für die Qualitätsprüfung vollstationärer Pflegeeinrichtungen enthalten bereits heute Vorgaben zur Eignung der Prüfer. Dort heißt es: „Wenn sich aus dem Prüfauftrag ergibt, dass die zu prüfende Pflegeeinrichtung beatmungspflichtige Personen oder Personen im Wachkoma versorgt, verfügt mindestens eine Prüferin oder ein Prüfer über besondere Kenntnisse in diesem Prüfgebiet.“ Diese Vorgaben müssen dann auch für private Settings gelten. Allerdings gebe ich Ihnen Recht, dass der Gesetzentwurf um Kriterien angereichert werden sollte, woran genau die Sicherstellung der Versorgung festgemacht wird. Es muss klargestellt werden, wie „persönliche, familiäre und örtliche Umstände“ vom Gutachter zu berücksichtigen sind. Vor allem darf es nicht sein, dass der Sicherstellungsauftrag von den Krankenkassen auf die Intensivpflegebedürftigen übergeht.
Wenn die Versorgung zu Hause mit Hilfe von An- und Zugehörigen klappt, sollte der Gutachter keine Empfehlung für eine Heimunterbringung aussprechen, nur weil beim Pflegedienst gerade eine Stelle unbesetzt ist. Bei der Abwägung von Interessen ist das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen das entscheidende Maß in der Waagschale. Gesetz und Gutachterpraxis müssen das rechtssicher abbilden.
Auch stationäre Einrichtungen unterliegen Prüfungen – abgestimmt an deren übliche Pflegekunden.
Werden diese Überprüfungen nun an die Bedürfnisse der neuen, meist schwerbetroffenen Bewohner angepasst?
Die Qualitätsprüfungsrichtlinien umfassen heute schon spezialisierte Einrichtungen für intensivpflegebedürftige Menschen. Bislang ist mir nicht bekannt, dass es hier einen Anpassungsbedarf gibt.
Die Krankenkassen sollen nun den Eigenanteil für die stationäre Intensivpflege voll übernehmen – inklusive Miet-, Verpflegungs und Investitionskosten. Gibt es bereits Reaktionen der Versicherer?
Ich finde die Regelung sehr wichtig, damit Betroffene endlich ein echtes Wahlrecht bekommen. Schließlich möchten und können viele, aber nicht jeder zu Hause versorgt werden. Eine stationäre Versorgung wird so künftig nicht mehr am Haushaltseinkommen scheitern. Das entlastet Angehörige und kann sie aus einem Dilemma befreien, wenn bislang der hohe Eigenanteil stationäre Pflegesettings gegenüber der ambulanten Versorgung deutlich benachteiligt.
GKV-IPReG wurde mit der Allokation von Ressourcen, also der Umverteilung auch von Pflegefachkräften, begründet. Dennoch bleibt der Fachkräftemangel sicher bestehen, bei Ärzten, bei Pflegefachkräften, aber auch bei den Mitarbeitern
des MD. Woher sollen nun die notwendigen Fachkräfte kommen?
Ziel des IPReG kann und darf nur die freie Selbstbestimmung und die sichere Versorgung der Betroffenen sein. Geld sparen zu Lasten ganz besonders vulnerabler Patientengruppen lehne ich ab. Der Pflegefachkräftemangel steht im Übrigen in dieser Legislaturperiode ganz besonders im Fokus. Mit der Konzertierten Aktion Pflege wurde Mitte letzten Jahres ein ganzes Bündel an vielversprechenden Maßnahmen beschlossen, um dem Pflegefachkräftemangel zu begegnen. Neben einer verstärkten Ausbildung, die durchlässig und kompetenzorientiert aufgebaut ist, sollen sich die Arbeitsbedingungen verbessern, die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte erleichtert werden und ein flächendeckender Tarifvertrag kommen.
Nun müssen alle Beteiligten ihre Versprechen rasch einlösen, damit die gewünschten Verbesserungen spürbar werden und sich mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden.
Gibt es ausreichend stationäre Einrichtungen und spezialisierte Wohneinheiten, die alle geforderten Kriterien erfüllen?
Von Phase-F-Einrichtungsbetreibern habe ich noch keine Hinweise bekommen, dass eine Intensivpflegeversorgung dort nicht sichergestellt werden kann. Wenn aber neue Qualitätsvorgaben für Intensivpflege-Wohngemeinschaften aufgestellt werden, wird sich zeigen, ob alle bisherigen Anbieter gleich gut sind. Wenn Qualitätsvorgaben nicht eingehalten werden können, müssen zum Schutz der dort versorgten Menschen die nötigen Maßnahmen eingeleitet werden. Hier gilt es, mit Augenmaß vorzugehen. Aber dasselbe Problem hat man auch bei jeder vollstationären Pflege.
Welche demokratischen und rechtlichen Möglichkeiten gibt es noch, um auf IPReG Einfluss zu nehmen?
Mit dem Kabinettbeschluss hat das parlamentarische Verfahren ja erst begonnen. Es gibt nun die wichtigen demokratischen Beteiligungsrechte, Bundestags- und Bundesratsbefassungen sowie Diskussionen und grundsätzlich eine öffentliche Anhörung im Ausschuss für Gesundheit. Entscheiden werden am Ende, wie wir alle wissen, die Abgeordneten. Ich kann Betroffenenverbänden nur Mut machen, ihre Kompetenzen in eigener Sache weiter engagiert einzubringen!
Quelle: beatmet leben 3/2020
Perspektiven zur außerklinischen Beatmung und Intensivpflege