Christian Bär

11. September 2018
Christian Bär

Was bisher geschah…

Q3 2015 kam unser Sohn zur Welt und ich hatte beim Tragen der Babyschale das erste Mal das bewusste Gefühl, wenig Kraft im rechten Bizeps zu haben. Im November fiel mir beim Squash auf, dass ich wenig Bums im Schlag hatte. Es beunruhigte mich nicht, da ewig nichts mehr in Sachen Sport gemacht habe. Aber dann fing der rechte Bizeps an zu zucken und hat bis heute nicht damit aufgehört, die Sau. Stattdessen hat er seine Nachbarn motiviert es ihm doch gleich zu tun und so zuckt nun so ziemlich alles.
So um Ostern 2016 fing es damit an, dass die Agilität meiner rechten Hand nachließ und mein rechter Fuß des Öfteren hängen blieb. Auch hatte ich manchmal einen Rechtsdrall, reagierte empfindlich auf laute Geräusche und war extrem schreckhaft und ängstlich, was heute teilweise immer noch der Fall ist. Die Damen meiner näheren Umgebung nötigten mich zum Neurologen. Gerade mich, der noch nie einen Krankenschein gemacht hat und außer beim Zahnarzt, das letzte Mal vor zwanzig Jahren beim Arzt war, damals noch bei der Bundeswehr.

Sorry, ich schweife aus. ;-)

Zurück zum Neurologen. Die gute Frau war reichlich besorgt und eine Stunde später lag ich im Krankenhaus mit Verdacht auf Hirnschlag. Ich äußerte damals schon die Vermutung ALS. Ich wurde eine Woche komplett auf den Kopf gestellt, mitunter von Dr. Johannes Brettschneider, damaliger Chef der Neurologie und sehr ALS-Erfahren. EMG, Blut und Liquor unauffällig, Borrelien IgG AK unauffällig, Zellzahl leicht erhöht. Ergebnis: Benigne Faszikulationen oder wie der Fachmann sagen würde „wir haben keinen blassen Schimmer, es zuckt halt“. Ich bin fröhlich nach Hause. Was zuckt, das lebt.
So gingen ein paar Monate ins Land und meine Probleme nahmen zu. Beim Joggen stellte ich im Juni 2016 mit Erschrecken fest, dass mein rechtes Bein nicht sauber mitlief, ich Nackenschmerzen hatte, mehr Speichel im Mund war und auch mein Arm schwächer wurde. Also wieder eine Woche ins Krankenhaus, wieder das volle Programm, plus einige Extrauntersuchungen, denn dieses Mal habe ich die Uniklinik gewählt. Alle Untersuchungen verliefen ergebnislos, bis auf EMG und MRT. Chronisch-neurogener Umbau im rechten Bizeps und unauffällige Degeneration des motorischen Kortex und der Pyramidenbahn links.

Diagnose: Verdacht auf ALS. Biiiiiiingo.

Gewinn: Eine Packung Riluzol und für drei Wochen Antibiotika.

Herr Bär, ich empfehle Ihnen Ihre Angelegenheiten zu regeln und Dinge zu tun die Ihnen Spaß machen. War vernünftig gemacht, Arzt war gut, Gespräch einfühlsam, Gebäck hab‘ ich vermisst, aber egal wie vorsichtig man es formuliert, Scheiße riecht nach Scheiße und ist Scheiße. Mit der Zeit verblasst der Geruch, aber es bleibt Scheiße. Mir wurde empfohlen eine zweite Meinung aus Ulm einzuholen und mich der ALS Ambulanz im Saarland anzuschließen.

Liest eigentlich noch irgendjemand mit? Wenn nicht kurz Bescheid geben, dann höre ich auf zu Schreiben. Da sich niemand gemeldet hat geht’s weiter.

Dann kam das was ich nur kurz erwähnen will. Schock, Wut, Trotz, Kampf, Humor, Alltag, Leben, Urlaub, Arbeit.
Dann kam Ulm. Drei Tage, Dezember, Chaos pur, gefühlt unprofessionell, Patient Bär genervt, Ergebnis das gleiche. Da EMG jetzt auch an mehreren Gliedmaßen auffällig, Diagnose ALS. Aufnahme in das Studienprogramm und bis heute nichts mehr von Ulm gehört.
Ab dann ging es spürbar bergab. Februar Pflegegrad zwei, Juni Lungenfunktionstest, April normaler Rollstuhl, Juli elektrischer Rollstuhl Permobil F5, Sprachcomputer, Hausumbau, Pflegegrad vier und neues Auto. Aber mir geht es gut. Außer Muskeln fehlt mir nix. Ich habe eine tolle Familie, tolle Freunde, einen spitzenmäßigen Arbeitgeber, eine gute Krankenkasse und hier und da auch eine Portion Glück. Und fast hätte ich es vergessen, sehr bemühte Ärzte.
So ging das Jahr dahin und es folgte ein Lungenfunktionstest Mitte des Jahres, der eine Vitalkapazität von 67% ergab. Das ist erstmal unbedenklich gewesen. Aufgrund der Schwäche meiner Arme und Hände bin ich seit Anfang 2017 auf ständige Hilfe angewiesen. Mein Handy, Computer, Laptop und den Sprachcomputer bediene ich ausschließlich mit den Augen. Beachtlich was die Technik da hergibt.

Es folgte im Januar ein zweiter Lungenfunktionstest mit etwas unter 50% und nun ein aktueller mit… Trommelwirbel… 35% Vitalkapazität. Das heißt grob gesagt, meine Lunge bringt bei bewusster Atmung nur noch 35% der Leistung im Vergleich zum Referenzwert. Das sind doch mal atemberaubende Neuigkeiten. Glücklicherweise sind die Blutgase noch in Ordnung, noch. Damit meine Atemmuskulatur in der Nacht etwas entspannen kann, geht es nachts an die Beatmung. Weitere Details erspare ich der geneigten Leserschaft, aber es zeigt wie schmal der Grat zwischen Luxus (gesund) und Harfe spielen ist. Und wer denkt ihn betrifft das nicht, ich drücke die Daumen, vor zwei Jahren entzog sich dies auch vollkommen meiner Vorstellung.
Wir kämpfen natürlich wie die Tiere dagegen an. Der Name ist Programm und Kapitulation ist keine Option, war ich noch nie der Typ für. Lediglich einen Waffenstillstand und die Beibehaltung des Status Quo wären durchaus eine Option. Bis dahin gilt, Wirkung geht vor Deckung.

Also versuchen wir unterschiedliche Therapieansätze, wie zum Beispiel den Einsatz von Edaravone Infusionen. Diese sind in Deutschland noch nicht zugelassen, aber in Japan und den USA kommod. Es braucht eine gute Krankenkasse, die hier anstandslos die Kosten übernimmt, wie meine gesetzliche Krankenkasse, spitzenmäßig. Auch das so genannte Nikolausurteil bietet hier neue Optionen.
Aber bei allem Optimismus, muss man auch realistisch sehen, dass das Wasser bis zum Hals steht. Nur vom fröhlichen Pfeifen hört es nicht auf zu steigen und schon gar nicht wird die Hose trocken. Es bedarf des zuverlässigen Schöpfens, oder des Ziehen des Stöpsels oder wenn es dufte läuft, dreht jemand am Haupthahn das Wasser ab. Aber nichts von alledem ist in Aussicht. ALSo liebe Kapelle, spielet „Näher, mein Gott, zu Dir“, wir sau

fen ab… Einen Gin bitte und nach mir die Ginflut. 

Jährlich sterben rund 2.000 Menschen an ALS mit Ansage und jeder Option auf Leben. In Worten Zweitausend. Die Medizin hat NICHTS in der Hand, außer einem Medikament, dass das Überleben im Schnitt um drei Monate verlängern soll. Sonst nur Achselzucken und warme Worte. Die Forschung in diesem Bereich ist übelst unterfinanziert, ebenso wie die Versorgung durch ALS-Ambulanzen. Herr Professor Meyer von der Charite hat mir wie folgt geantwortet.
„Insgesamt lässt sich feststellen, dass eine massive Unterfinanzierung vorliegt. Das betrifft die Grundlagenforschung, die klinische Forschung und auch die spezialisierte Versorgung. Selbst die ALS-Ambulanzen in Deutschland sind so unterfinanziert, dass bis zu 70 % aus anderen Mitteln beigesteuert werden müssen (Spenden, Drittmittelprojekte). Diese Unterfinanzierung ist der Grund, warum in Deutschland nur etwa 30 % aller Betroffenen im Verlauf ihrer Krankheit von einem spezialisierten ALS-Zentrum betreut werden. Der überwiegende Teil wird von regulären Neurologen versorgt. Das wäre ungefähr so als ob der Großteil der Krebspatienten keinen Kontakt zu einem Onkologen erhalten würden. Hinzu kommt die von Ihnen adressierte Forschungsfinanzierung. Hier sind die Budgets in keiner Weise ausreichend.“
Die Entwicklung eines neuen Medikaments gegen ALS wird auf rund 700 Millionen Euro geschätzt. Hört sich erstmal mächtig an. Vergleichen wir mal die Mehrkosten beim Bau der Elbphilharmonie. Geplant 77, tatsächliche Kosten 800 Millionen Euro. 723 Millionen am Ziel vorbei. Kurzes Räuspern,… Aber der Sound ist geil. Na dann ist ja alles in bester Ordnung, herzlichen Glückwunsch. 723 Millionen Euro, da wäre sogar noch ein kleines kaltes Buffet mit Mettigel fürs Forscherteam drin gewesen. Nehmen wir an wir kaufen uns einen gehobenen Mittelklasse PKW, mit dickem Infotainmentpaket, für Liste 40.000 Euro. Wir freuen uns, Wohl dem der es hat, wir gönnen uns was. Als die Karre auf dem Hof steht, kostet unser Personenkraftwagen plötzlich 400.000 Euro. Da wäre die Freude am Fahren schnell beendet. Aber der Sound ist geil…

Aber auch bereits für andere Krankheiten zugelassene Medikamente könnten helfen. Dazu bedarf es Pilot- und Wirksamkeitsstudien. Kosten 100.000 Euro, beziehungsweise eine Million. Ein kleiner Vergleich. Beim G20 in Hamburg wurden vom bekloppten Mobb Versicherungsschäden in Höhe von 12 Millionen Euro verursacht. Und das ist ja nur ein Teil der Kosten. Hinzu kommen die Mehrkosten zum Beispiel für Aufräumarbeiten und Unmengen an Polizei, derer es Bedarf um die internationalen Randalierer in Schach zu halten. Vielen Dank ihr marodierenden Vollpfosten, wer glaubt ihr zahlt das am Ende des Tages?
In Deutschland gibt es rund 3.000 Verkehrstote pro Jahr. An ALS erkranken in Deutschland jährlich circa 2.000 Menschen neu an ALS, Tendenz steigend. Das ist vergleichbar mit der Häufigkeit von Leukämie im Erwachsenenalter. Die Diagnose ALS ist derzeit garantiert tödlich, im Schnitt ist nach zwei bis fünf Jahren Feierabend. Man stelle sich vor es gäbe fast keine Verkehrstoten in Deutschland mehr, auch nicht mehr in Europa oder gar weltweit, wir würden, berechtigter Weise, Unsummen investieren. Bei ALS wäre es lösbar, doch anscheinend fehlt die Lobby. Wo ist mein geschätztes Europa?
Wir verblasen so viel Geld und Energie für unnütze Dinge. Bloß nicht die Komfortzone verlassen, lieber mal die anderen machen lassen. Jammern ist das höchste Gebot. Wir wollen unbedingte Besitzstandwahrung, regen uns lieber über die flüchtenden Kongolesen auf, die wir anscheinend lieber in den Coltanminen unter unmenschlichen Bedingungen schuften sehen, damit unser Handy möglichst lange brummt, wenn wir ein süßes Katzenvideo empfangen. … Ich schweife aus, andere Baustelle.

So denn, wir kämpfen weiter. Regen ist der Sonnenschein der Infanterie.
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