Nadja Fischer

19. August 2019
Nadja Fischer

Hallo, mein Name ist Nadja Fischer, Schlüpfgang 1983 und ich bin Mitglied Nr. 169. 

2012 habe ich mein Examen zur Gesundheits-/ Krankenpflegerin gemacht. Nach der Examinierung war ich körperlich so geschwächt und vom System enttäuscht, dass ich erstmal ein Jahr entspannt als Saunameisterin gearbeitet habe zur eigenen Rehabilitation. Aus der Personalnot heraus stieg ich 2014 in den Job der normalen ambulanten Pflege ein. Dort lernte ich meinen ersten ALS Patienten kennen. In meiner Ausbildung hatte ich nicht mal etwas von dieser Krankheit gehört. Da dieser Patient sich nicht beatmen lies, hatte er kein Anrecht auf die 24 Stunden Pflege. Er wurde von seiner Frau alleine gepflegt, die massiv an ihre Grenzen kam. Schnell wurde mir klar, wie wichtig eine adäquate Pflege bei diesem Krankheitsbild ist. Also kündigte ich meinen Job und unterstütze die beiden, bis zu dem Tag, an dem er starb. 

Wenige Wochen später rief mich meine ehemalige Chefin des ambulanten Dienstes an und erzählte mir von einem jungen Mann, der sich bei ihnen mit ALS vorgestellt hatte. Auch diesen konnten sie nicht ausreichend versorgen. Sie nannte mir seine Nummer/ Adresse und ich fuhr in das Altenheim, in dem er mit 47 Jahren bereits lebte, da er keine Familie und Angehörige hat. So lernte ich Ralf Scheel kennnen. Seit diesem Zeitpunkt sind wir so gut wie jeden Tag zusammen und im Kontakt. Das Heim war völlig überfordert mit der Pflege. Also pflegte ich ihn vier Monate täglich und ehrenamtlich, weil man mich dort nicht anstellen konnte für eine 1:1 Pflege.  Ich half ihm, aus dem Altenheim in eine eigene Wohnung zu ziehen, stellte über Facebook ein Pflegeteam für ihn zusammen, organisierte einen behinderten gerechten Bus und übernahm die Teamleitung. Seither kämpfen wir zusammen immer wieder aufs Neue ums Überleben. Es ist nicht nur ein Wettlauf mit der Zeit: fehlendes Pflegepersonal, der Kampf um medizinische ärztliche Versorgung und nun auch noch der politische Kampf um den Erhalt der 1:1 Pflege bestimmen unseren Alltag.  Wir versuchen uns beide, nicht den Mut nehmen zu lassen, denn wir kommen immer wieder an unsere Grenzen. (Ich durch ständige Überstunden, er durch den körperlichen Abbau und den Stress durch stetig wechselnde Pflegekräfte ect.)  Dennoch ist unser Leitsatz: Das Leben ist schön. Und ich stimme meinem Vorredner zu: Das einzige, was helfen kann , aber leider nicht heilt sind: Liebe, Zuneigung und Organisation. Wir haben eine spezielle Beziehung zueinander, die man nicht klar definieren kann. Wir sind wie Bruder und Schwester, enge Freunde, Vollmachtnehmer/ Vollmachtgeber, Pflegerin/ zu Pflegender und wir wirken wie ein altes Ehepaar.  Immer füreinander da zu sein, wenn der andere einen braucht ist uns beiden wichtig. Egal in welcher Hinsicht. Bis das der Tod uns trennt. Scheiden kommt nicht in Frage, denn wir sind definitiv nicht verheiratet. ;)

Ich habe mir genau diese Mitgliedschaft gewünscht, um Anbindung zu anderen Betroffene zu bekommen und weil icke selba ne Berliner Jöre bin. Danke an Jens Matk, der mir im Vorhin immer wieder wertvolle Tipps gegeben hat, wenn die Not groß wurde. Leider sind wir nicht mehr mobil, da die ALS derzeit massiv voranschreitet. Somit sind wir aus der Ferne stillere Teilnehmer an der Schweizer Grenze in Konstanz, die das ganze Geschehen online verfolgen und so mit dem einen oder anderen in Kontakt sind.