DIGAB Sektion “Selbstbestimmt Leben mit Beatmung“ zum #RISG

2. September 2019
DIGAB Sektion “Selbstbestimmt Leben mit Beatmung“ zum #RISG

Diese Stellungnahme erreichte uns. Wir finden sie so gut das wir sie hier an dieser Stelle veröffentlichen wollen.

Stellungnahme der DIGAB Sektion

„Selbstbestimmt Leben mit Beatmung“

zum geplanten Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz

Änderungen der §§ 37 und 37c SGB V.

Der Referentenentwurf des RISG, Leistungen der häuslichen Intensiv-Pflege nur noch in Ausnahmefällen zu gewähren und dafür zusätzliche, stationäre Pflegeplätze einzurichten verstößt gegen die UN-BRK. Er missachtet das in Artikel 19 der UN-BRK verbriefte Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsortes sowie die Gewährleistungspflicht des Staates nicht zum Leben in einer besonderen Wohnform verpflichtet werden zu können. Die Konvention schützt hierbei alle Menschen mit Behinderung – also auch jene, die eine fachpflegerische 24-Stunden-Betreuung benötigen und jene, die nicht in der Lage sind, eigene Entscheidungen äußern zu können.

Außerdem verletzt der Referentenentwurf des RISG Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes.

Im RISG sollen Fehlversorungen bei der außerklinischen Intensivpflege  vermieden werden und die besonderen Bedarfe intensivpflegebedürftiger Versicherter berücksichtigt werden.

Durch den geplanten §37c werden diese Ziele verhindert, wenn die ambulante Versorgung für den Personenkreis komplett entfällt, der auf Grund einer z.B. neuromuskulären Grunderkrankung gar nicht in der Lage ist, sich von einer Dauerbeatmung zu entwöhnen.

Pflegeeinrichtungen sollten in Zeiten ernstgemeinter Inklusion ein Auslaufmodell darstellen. Stattdessen sollte das Ziel des Gesetzes sein, die zeitgemäße und menschenrechtskonforme persönliche Assistenz zu unterstützen und zu stärken. Persönliche Assistenz mit geschultem Personal kann auch durch spezielle Pflegedienste organisiert werden. Deshalb ist es wichtig den Sachbearbeiter*innen bei der Entscheidung über die Zumutbarkeit keinerlei Ermessensspielraum mehr zu lassen.

Die Qualitätsmängel bei beatmeten Patient*innen sind in stationären Einrichtungen deutlich größer als in der ambulanten Pflege. Menschen mit Behinderung, die ihren Alltag in Form des Arbeitgebermodells/persönlichen Budgets regeln sorgen schon aus Eigeninteresse, als Experten/Expertinnen in eigener Sache für eine hohe Qualität ihrer Pflege, die nicht nur mit Fachkräften sondern auch mit geschulten Laienkräften organisiert wird. Denn sie wissen am allerbesten, welche Art der Assistenz und Pflege benötigt wird und lernen ihr Personal dementsprechend an.

Mit zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln, z.B. Elektrorollstuhl mit Spezialsteuerung und transportablem Beatmungsgerät, mit PC mit Augensteuerung und Sprachausgabe gibt es sehr gute Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und z.B. einen Schulabschluss, ein Studium, eine Berufsausbildung zu machen und eine berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit auszuüben. Menschen mit Beatmung haben das Recht gleichberechtigt mit anderen so zu leben wie Menschen ohne Behinderung.

Die Realisierung der Pläne des Gesundheitsministeriums würden für viele Menschen mit Beatmung das Ende eines normalen und aktiven Lebens bedeuten. Denn in einer Einrichtung steht zu wenig Personal zur Unterstützung zur Verfügung, um z. B. schon die Grundversorgung sicherzustellen zu dem Zeitpunkt wo sie gebraucht wird (Toilettengang, Mobilisierung aus dem Bett etc.). Jegliche private und beruflich-ehrenamtliche Aktivität außer Haus wäre nicht durchführbar. Ein Leben in Partnerschaft, mit Familie, mit den eigenen Kindern oder allein lebend in der eigenen Häuslichkeit wäre nicht mehr möglich. Für viele beatmete Menschen vor allem solche mit 24 Stunden Beatmung z.B. Tracheostoma, Sprachcomputer mit Augensteuerung, die jetzt noch Lebensqualität haben, wäre das die absolute Katastrophe. Es gibt bereits Äußerungen, dass sie im Falle einer Einweisung ins Pflegeheim die lebenserhaltenden Geräte abschalten lassen.

Die Erhaltung und Wiedergewinnung der selbstbestimmten Teilhabefähigkeit bis hin zur Selbstständigkeit intensivbehandlungspflegebedürftiger Menschen muss gefördert werden. Durch gleichberechtigte Lebens- und Teilhabemöglichkeiten können Menschen mit Behinderungen wertvolle Beiträge zum allgemeinen Wohl und zur Vielfalt ihrer Gemeinschaften leisten.

Wir fordern den geplanten Gesetzesentwurf zu ändern oder zu streichen!

Dinah Radtke

Sprecherin der DIGAB Sektion „Selbstbestimmt Leben mit Beatmung“