Zeitungsartikel “Beatmet Leben”

12. Mai 2016
Zeitungsartikel “Beatmet Leben”

In der Ausgabe 03/2015 der Zeitschrift “Beatmet Leben” kommen unsere Vereinmitglieder Oliver Jünke und Ute Oddoy zum Thema “Neues (anderes) Leben lebenswert” zu Wort. Hier nun die Stellungnahmen der beiden. Die Zeitschrift selber ist über folgende Webseite erreichbar: http://beatmetleben.de/


Neues (anderes) Leben Lebenswert?

 

Gerade für Menschen, die sich im Laufe ihrer Erkrankung für oder gegen eine wie auch immer geartete Beatmung entscheiden müssen, stellt sich die Frage: Wie lebenswert wird mein neues, anderes Leben sein? Mitreden möchten hier viele, nicht zuletzt auch Politiker, die mit der Diskussion um den assistierten Suizid die Debatte um Lebenswert und Lebensqualität eingeschränkter Menschen wieder einmal angeheizt haben. Wir möchten Betroffene und Angehörige zu Wort kommen lassen, die mit Beatmung leben. Denn sie sind es, die hierzu gehört werden müssen.

Oliver Jünke

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Oliver Jünke

Mit der Diagnose ALS und den zu erwartenden Einschränkungen konnte ich mir anfangs kein lebenswertes Leben vorstellen. Aus diesem Grund habe ich zwar Hilfsmittel zeitnah angenommen; medizinische Therapien aber so lange vor mir hergeschoben, bis es ohne fast nicht mehr ging. Ich dachte, es wäre besser für mich, wenn ich unabhängig von medizinischen Apparaturen mein Leben gestalte. Im Nachhinein muss ich jedoch feststellen, dass ich viel zu lange mit der Ernährungstherapie sowie der invasiven Beatmung gewartet habe. Mir geht es körperlich und somit auch seelisch viel besser mit den Therapien. Ja, ich empfinde mein Leben trotz aller Einschränkungen als lebenswert. Ich habe beschlossen, mein Leben weiterzuleben und werde durch meine Angehörigen und mein Pflegepersonal täglich dabei unterstützt. Ohne diese Unterstützung würde ich meine Lebenssituation sicher anders bewerten.

Für mich steht fest, dass Lebensqualität immer subjektiv wahrgenommen wird. Meine körperlichen Einschränkungen oder meine seelische Zufriedenheit beziehungsweise Unzufriedenheit zählen auch zu meiner selbst empfundenen Lebensqualität. Das soziale Umfeld (und so auch die Gesellschaft) spielt zwar eine große Rolle bei der Lebensgestaltung und hat somit auch einen nicht unwesentlichen Anteil an meiner subjektiv empfundenen Lebensqualität, aber auf meine Lebenszufriedenheit, habe ich persönlich den größten Einfluss. Die Gesellschaft stellt zum Beispiel mit Pflege-, Kranken- oder Sozialversicherung Rahmenbedingungen, die im Einzelfall sicher verbesserungswürdig sind, aber für das persönliche Lebensglück ist doch jeder selbst verantwortlich. Ich bin von Natur aus ein optimistischer Mensch und versuche mir täglich neue Ziele zu setzen. So ist mein Tag immer ausgefüllt und an den meisten Abenden bin ich körperlich erschöpft, aber glücklich. Das empfinde ich als Lebenszufriedenheit. Jeder, der noch dazu in der Lage ist, sollte sich persönliche Ziele stecken. Auf dem Weg zum Ziel – spätestens aber mit der Erreichung des Ziels -, wird sich bei jedem Menschen (mit oder ohne körperlichen Einschränkungen), die Lebensqualität verbessern.

Ute Oddoy

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Ute Oddoy

„Lebenswert, aber ein komplett anderes Leben“ – so hätte ich spontan geantwortet. Lebenswert ist mein neues Leben auf jeden Fall. Aber es ist nicht komplett anders. Zum Glück nicht komplett Anders und deshalb lebendwert.

2006 wurde die Diagnose ALS gestellt. 2007 saß ich schon im Rollstuhl. In den ersten beiden Jahren verschlechterte sich meine Motorik recht schnell, besonders meine Sprache und Atmung. Das deprimiert. Meine Therapie: Disziplin bei den Anwendungen, Medikamente und realistische Ziele. Und viele Helfer und ausreichend Hilfsmittel. Und. Und. Und. An Selbstmord habe ich nie gedacht. Ich bin nicht gläubig, lebe hier und jetzt. Meine realistischen Ziele reichen jetzt weit in die Zukunft.

Jeder sollte entscheiden dürfen, wann er sein Leben beenden möchte. Aber diese Entscheidung darf nicht getroffen werden, weil man alleine ist, weil der optimale Rollstuhl oder Lifter erst erkämpft werden müssen, weil man wegen der überforderten Angehörigen ins Pflegeheim muss.

Der Kampf um die Pflegestufe, um den Behindertenausweis und vor allem um die Hilfsmittel ist menschenunwürdig. Erst die Diagnose, dann der Behördendschungel und die ersten Ablehnungen der Kranken- und Pflegekasse. Da wird viel Kraft verschwendet, die man für die Bewältigung der Krankheit braucht. Mein Vorschlag: Jeder Betroffene bekommt eine To-Do-Liste, die abgearbeitet wird. Ein „Lotse“, am besten einer der die Krankheit gut kennt, begleitet. Fehler müssen ja nicht wiederholt werden.

Sonst braucht es Organisation, um Aufgaben auf viele Schultern zu verteilen. Und ein bisschen Egoismus.